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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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verkniff sich weitere Fragen. Er ging rückwärts und nickte mit dem Kopf. Kaum war er weg, zog sich Doktor Samson halb aus seinem Sitz.
    »Sie sind also der skrupellose Mensch, den William Godin prophezeit hat. Schämen Sie sich. Doch, doch, Sie sollten sich was schämen.«
    Er zog sich ganz aus dem Stuhl, stand einen Augenblick schwankend.
    »Gehen Sie, gehen Sie schon!«
    Er wankte ins Haus.
    »Die Welt ist bevölkert von Widerlingen«, murmelte er.

16
    Doktor Samsons Haus befand sich außerhalb des Ortes. Wachse hatte mir einen Weg durch einen kleinen Wald beschrieben. Auf dem Hinweg hatte ich noch etliche Buchstaben in Baumstämmen entdeckt, aber alle besaßen nur schwache Ausprägungen. Auf dem Rückweg erkannte ich keinen mehr davon. Es war durchaus möglich, dass ich meine besondere Fähigkeit verlor, solche Formen zu sehen.
    Der Jäger des Alphabets hatte ausgedient.
    In einer normalen Familie übernahm mit dem Tod eines Angehörigen oft ein anderer dessen Rolle, eignete sich dessen Fertigkeiten an. Möglicherweise geschah in unserer Familie, in der es Zusammenhalt nur durch gegenseitige Abneigungen gab, das Gegenteil. Angehörige verloren Fähigkeiten und gaben Rollen auf.
    Wer mochte letzte Nacht in sein Haus eingebrochen sein? Ich überlegte, wer von der Familie so schnell von Williams Tod erfahren haben konnte. Marlene, seine Frau, besaß kein Telefon. Selbst wenn die Polizei schon bei ihr gewesen war, konnte sie die Nachricht schlecht weitergegeben haben, hatte gar kein Interesse daran. Sie würde schnellstens ihren Pflanzenmann heiraten.
    Ich glaubte auch, die Polizei würde niemanden informieren, bevor die Todesursache nicht eindeutig feststand. Ich erinnerte mich an eine Reihe Kriminalfilme. Darin versuchten Kriminalbeamte aus der Reaktion auf die Todesnachricht Schlüsse auf den Täter zu ziehen. Bei uns würde das nicht gelingen. Jeder war sicher froh über den Tod des Alten und würde das zugeben. William Godins Barvermögen und alle Wertpapiere waren vor über zehn Jahren auf mich übertragen worden. Das verbleibende Erbe konnte nicht mehr sehr groß sein. Wenn meine Familienangehörigen von dem Vorgang wussten, hätten sie eher Grund, mich umzubringen. Ich müsste das Ziel eines Anschlages sein. Andererseits gab es etwas in seiner Hinterlassenschaft, das einen sehr hohen Wert hatte. Glaubte ich Doktor Samson, so hatte William Godin eine Methode entwickelt, zielsicher Bodenschätze aufzuspüren.
    Offensichtlich war ich ursprünglich Bestandteil seines Planes gewesen, solche Methoden mit zu entwickeln. Dann hatte sich meine Mitarbeit erübrigt. Und der Alte hatte mich deshalb vor zehn Jahren ausgezahlt, hatte sich von der Schuld an den Qualen, den Verbiegungen, die er mir zugefügt hatte, freigekauft.
    Ich erreichte die Gastwirtschaft, betrat den Schankraum. Der Wirt spuckte vor mir aus. »Was sind Sie für einer!«
    »Sie meinen die Aussage Ihrer Tochter?«
    Er knurrte, als säße ihm ein Kloß im Hals, der ihm das Sprechen unmöglich machte, und drehte sich um, wahrscheinlich um nach einem Messer zu greifen.
    »Sie wissen doch, dass Ihre Tochter so etwas behaupten kann«, sagte ich schnell, »und dass, wenn der betroffene Mann es abstreitet, dies gerade als Beweis der Wahrheit ihrer Behauptung gilt.«
    Ich trat einen Schritt zurück, wartete, bis der Gedanke bei ihm angekommen war. Es arbeitete in ihm. Er krempelte sich die Ärmel hoch, aber es war nur noch eine Geste.
    Im selben Moment begriff ich, dass es Wachse war, die sich nachts in das Haus William Godins geschlichen hatte. Sie selbst besaß für die Zeit kein Alibi und nahm einfach mich dafür. Sie wusste, wie solche Behauptungen funktionieren würden. Und sie war es, die sich in dem Haus am besten auskannte. Es konnte ihr nicht um große Geldbeträge oder Wertsachen gegangen sein, die waren sicher nicht im Haus.
    Der Wirt sah mich an. »Also nicht?«
    »Nein. Aber ich kenne jemanden im Dorf, der sie liebt. Und der sicher alles tun würde, um ihr Herz zu gewinnen ...«
    Sein Kopf hob sich aus dem Kragen.
    »... er wird Ihnen nur zu alt sein.«
    Der Wirt schrumpfte wieder. »Doktor Samson.« Er spuckte in das Spülbecken für die Biergläser. Er stöhnte und winkte mit der Hand ab. »Sie können es nicht wissen, aber der Kerl betrachtet mit Vorliebe Kinderfotos. In seinem Haus befindet sich eine Sammlung von Katalogen mit Kindermoden der letzten dreißig Jahre.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Wachse hat die Sammlung auf einem Flohmarkt

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