Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
mit schwarzem, dreckigem Fett gefüllten Hautporen seiner Nase sehen konnte.
»Was bezahlen Sie?«, fragte er.
Offensichtlich hatte er mein Gespräch mit Wachse belauscht.
»Setzen Sie es auf meine Gesamtrechnung.«
Er nickte. »Sie haben es ja. Das Geld quillt Ihnen ja schon aus den Ohren. Ich sag mal, pro Frage einen Zwanziger.«
»Wie viele Zimmer sind vermietet?«
»Seit heute Morgen alle.«
17
Ich wartete auf den Abend und lag in meinem Zimmer auf dem Bett, lauschte den Geräuschen, die es gestern in dem Gasthaus noch nicht gegeben hatte. Es war ein Schaben und Kratzen, als würden in den Wänden plötzlich Tiere wohnen, die an einem Durchbruch zu mir arbeiteten. Sie hatten menschliche Helfer, denn ab und zu hörte ich Schritte, ein kurzes Lachen, dann ein Poltern. Eine fallen gelassene Spitzhacke oder ein Beil. Schritte auf der Treppe. Türenschlagen. Atemzüge auf dem Flur vor meiner Tür.
Wieder ging mir durch den Kopf, dass ich immer noch keine Schusswaffe besaß.
Ich erhob mich. Der Bettkasten knarrte, und plötzlich war es in allen Zimmern ruhig. Als wäre das Knarren meines Bettes ein Signal gewesen. Ich ging ins Bad, betrachtete mein Gesicht. Es war mir ähnlich.
Ich lauschte an der Zimmertür. Gespräche drangen als dunkles Murmeln von unten aus der Gaststube herauf, sonst war es ruhig. Ich wollte die Konfrontation nicht weiter aufschieben und stieg hinab. Ich betrat den Schankraum. Sie waren alle da, jeder an einem Tisch für sich. Ganz hinten beugte sich meine Großmutter Marlene in einem beigefarbenen Leinenanzug über einen Teller mit Salat, über dessen Blätter hinweg sie mich beobachtete. Ihre lebende Pflanze hatte sie wohl zu Hause gelassen. Am Nachbartisch hockte Frank Godin, Exvater und nun Halbbruder, hinter einem großen Bier, das von einem Halbkreis leerer Schnapsgläser geschützt wurde. Wie war es ihm gelungen, Lena abzuschütteln, wo es doch um Geld, ums Erbe ging?
Am Tisch vor ihm grüßte mich mit sorgenvollem Lächeln William Godins Enkel Martin. Er war bereits ganz in Schwarz gekleidet. Aber in dem Stoff brach sich das Licht, schimmerte blau wie für eine Las-Vegas-Show. Was wollte der hier? Was erhoffte er sich? In der Erbfolge kam er weiter hinten.
Gleich am Eingang, den Blick aus dem Fenster gerichtet und sich doch meiner Gegenwart bewusst, saß Scotty mit grauem Schopf in einem eleganten roten Kostüm. Ihre Mundwinkel schwankten zwischen Spott und Belustigung. Vor ihr auf einem Teller krümmte sich eine Bratwurst.
Ich trat einen Schritt in den Raum hinein. In diesem Augenblick erschien mir die Gaststube wie die unter Deck liegende Kajüte eines Schiffes. Für einen Moment schwankte sogar der Boden. Ich hielt mich am Tresen fest, stieß mich dann mit Schwung ab, um bis zu meiner Großmutter zu gehen. Ich setzte mich zu ihr. Sie nahm meine rechte Hand mit beiden Händen, hielt sie gefangen. »Danke«, sagte sie. »Ich danke dir.«
»Ich war es nicht. Ich kam zu spät. Er war schon tot.«
»Oh, wie banal. Ich dachte, du könntest mir von seinem Sterben berichten. Das ist wirklich schade.«
»Deshalb bist du hier?«
Sie ließ mich los, zog mit zwei Fingern ein Chicoréeblatt aus ihrem Salat, nahm es als Dressingschaufel und schlürfte daraus.
»Ach, du weißt doch, ich brauche so schnell wie möglich den Totenschein, um heiraten zu können, und natürlich die Hälfte des Erbes. Alles, um mein Pflänzchen zu versorgen.«
»Das Erbe? Aber du wolltest dich scheiden lassen.«
»Tod oder Scheidung, die Ehefrau kriegt immer die Hälfte.«
»Ich fürchte, es ist nicht mehr viel da.«
»Pah! Mach dir keine Sorgen. Ich weiß von der Schenkung an dich. Geld und Wertpapiere. Gut, du könntest damit König auf einer Südseeinsel werden. Aber darüber hinaus gibt es Häuser, Grundstücke, Bergwerksbeteiligungen, Schürfrechte und so weiter. Du kriegst noch mal einen Anteil davon. Bin gespannt, ob und wie viele Kinder er in seinem Testament anerkennt. Entsprechend muss die zweite Hälfte geteilt werden. Kann sein, dass dieser Teil für euch schwierig wird. Mein Anteil ist sicher. Aber zuerst einmal wird jetzt geheiratet.«
Sie stocherte weiter in ihrem Salat, zog Tomaten- und Gurkenscheiben hervor und knabberte daran.
»Und? Geht es dir nun besser?«, fragte sie mit vollem Mund. Grünes schimmerte zwischen ihren Zähnen. »Der alte Birnbaum ist gefallen, blüht die Quitte auf?«
»Ich fürchte, es geht mir nicht besser.«
»Warte ab, du wirst wachsen, jetzt, wo er tot
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