Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
begann, mich gegen diese Zahlungen aufzulehnen. Mein Großvater sollte merken, dass es mir gleichgültig war. Ich sagte nicht Danke wie mein Bruder Martin, sondern ließ den Umschlag auf dem Tisch liegen. Er ging in den Garten, meine Mutter hängte gerade Wäsche auf. Und erst als er die Küche verlassen hatte, stopfte ich den Umschlag in die Hosentasche, zerknitterte ihn dabei. Mein Bruder humpelte mit seinem Geld in eine Küchenecke, wandte mir den Rücken zu und zählte es oder las den beiliegenden Brief. Vorschriften, Verbote. Jedenfalls nehme ich an, dass auch Martin Anweisungen bekam.
Aus der Menge der Umschläge, die mein Großvater bei sich hatte, schloss ich, dass es mehr Empfänger gab, als unsere Familie Mitglieder hatte.
Meine Mutter bekam regelmäßig einen dickeren Umschlag als mein Vater. Es lag sicher daran, dass mein Vater zusätzlich geringe Einnahmen als Reporter hatte. Er arbeitete nicht sehr viel und war nicht fest angestellt.
Ich ging in mein Zimmer, und erst dort zählte ich das Geld. Es war viel mehr, als meine Schulkameraden bekamen. Sehr viel mehr. Und der Betrag wurde regelmäßig erhöht. Trotzdem beneidete ich sie um ihre kleinen Jobs, mit denen sie sich ihr Taschengeld aufbesserten. Sie trugen Zeitungen aus, halfen im Supermarkt, machten Gartenarbeit, wuschen Autos. Ich hätte das auch gern gemacht, wollte sein wie sie. Mir war jede Arbeit verboten. Wenn ich meinen Umschlag öffnete, lag oben auf dem Geld Großvaters Verbotsliste. Zum Beispiel waren mir alle Malartikel verboten, von farbigen Filzstiften über Wasserfarben bis hin zu Pinseln und Zeichen- oder Malkartons. Auch Kunstbücher durfte ich mir nicht kaufen. Kurse für künstlerische Tätigkeit durfte ich nicht besuchen und keine Arbeit annehmen, auch unbezahlte nicht. Die Liste der verbotenen Bücher, Videos, Musik wurde von Mal zu Mal länger. Die Systematik dahinter begriff ich nicht. Natürlich besorgte ich mir alles Verbotene heimlich. Ich besaß ja ausreichend Geld. Mir gefiel nicht, dass er glaubte, mit den Zahlungen über mein Leben bestimmen zu können. Obwohl er mich nicht kontrollierte. Manchmal legte ich ein Buch oder eine verbotene Schallplatte auf die Treppenstufen, sodass er es hätte bemerken müssen. Er sah darüber hinweg.
Ich glaube, jeder aus der Familie bekam so viel Geld, dass er nicht unbedingt arbeiten musste. Aber sicher waren damit auch Anweisungen verbunden. Zu gern hätte ich einmal in die anderen Umschläge geguckt. Bei meinem Vater vermutete ich, dass ihm der Kauf neuer Kleidung verboten war. Seine Sachen waren immer abgetragen.
Ich ging in mein Zimmer und legte das Geld in eine Kassette. Nebenan hörte ich Martin in seinem Zimmer. Ich schlich wieder hinunter, und da war die Gelegenheit, auf die ich immer gewartet hatte. Großvater hatte die restlichen Umschläge auf dem Küchentisch liegen lassen. Sie wurden von einem Gummiband zusammengehalten. Ich lauschte mit angehaltenem Atem. Mein Großvater redete hinten im Garten mit meiner Mutter. Blitzschnell ging ich die Namen auf den Briefen durch. Eine Familie aus der Nachbarschaft war dabei. Ich entdeckte einen Lehrer von meiner Schule.
Die Umschläge ließen sich öffnen, denn die Laschen waren nur nach innen eingeschlagen. Ich sah zuerst in den meines Vaters. Eine handschriftliche Abrechnung lag obenauf. Er bekam zusätzlich zwei hohe Summen. Hinter jedem Betrag stand der Name einer Frau. Eine Verbotsliste gab es für ihn nicht.
Meine Mutter und mein Großvater näherten sich. Schnell warf ich noch einen Blick in den Umschlag meiner Mutter. Er enthielt ebenfalls eine Auflistung. Hinter einer hohen Summe stand mein Name. Ich wagte nicht, den Zettel ganz herauszuziehen. Die Stimme meines Großvaters war jetzt schon sehr nah.
Schnell ordnete ich die Briefe wieder und lief mit rotem Kopf in den Vorgarten, um ihm nicht zu begegnen. Draußen hockte ich mich unter das Küchenfenster. Ich überlegte, warum der Lehrer Geld bekam. Wahrscheinlich sollte er auf mich achten, damit ich die verbotenen Dinge nicht tat. Ich grinste in mich hinein. William Godin bezahlte einen Verräter. Denn genau dieser Lehrer hatte mich an einem Nachmittag mit in seinen Fotokurs genommen. Er ließ mich etwas tun, was mir nicht erlaubt war. Wir Schüler standen in einem dunklen Raum, und jeder konnte mit dem Lichtstrahl einer Taschenlampe Bilder malen. Eine Kamera nahm alles mit langer Belichtungszeit auf. Mir gelangen Gemälde aus endlosen Linien, hinter denen ich selbst,
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