Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
sich kaum abhob. Ein Stück Pappe lag statt eines Hutes vor ihm, um darauf Münzen zu sammeln.
»Hat er schon genug Geld, um sich den nächsten Schnaps leisten zu können?«, fragte die Frau hinter mir.
Ich ging hinaus zu Freddy und hockte mich vor ihn. Er sah mich nicht an, sondern blickte auf das Pappstück. Es war Onkel Frederik. Er hatte kaum noch Haare, nur eine lange Strähne, die vom Hinterkopf kam und sich über den gebeulten Kopf bis in die Stirn zog wie eine Rauchfahne. Aber er hatte dieselben scharfen Falten, die seine fleischigen Wangen davon abhielten, über den Mund zu klappen. Ich betrachtete seine Kleidung. Sie war ausgefranst, löchrig, aber vollkommen sauber. Er roch sogar nach Waschmittel. Über seine Nase und Wangen zog sich ein rötlicher Fleck.
»Onkel Frederik. Ich bin es. Gordon. Gordon Paulson.«
Sein Blick blieb auf der Pappe. »Vielen Dank. Sie sind sehr freundlich«, murmelte er.
Ich kramte in meiner Hosentasche nach einer größeren Münze und legte sie ihm hin. Eine sehnige Hand kam wie eine Vogelkralle aus seinen Kleidern, schnappte die Münze und verschwand wieder.
»Ich bin es«, wiederholte ich. Er blickte nicht auf.
»Vielen Dank, sehr freundlich«, sagte er.
Ich griff in meine Gesäßtasche und zog einen Geldschein hervor. Wieder kam die Kralle, nahm ihn. Doch danach richtete er sich langsam an der Mauer auf.
»Darf ich Sie zu einem Gläschen einladen?«, sagte er. »Sie sind sehr großzügig.«
Er ging voraus, betrat die Bar und zog sich auf einen Hocker hinauf. Die Frau in der Strickjacke kam mit einem gefüllten Schnapsglas, stellte es vor Frederik ab und sah mich fragend an.
»Wasser«, sagte ich und setzte mich neben Onkel Frederik. Er trank seinen Schnaps sofort aus, und die Frau goss nach. Frederik straffte sich, drehte sich mir lächelnd zu. »Wer noch mal?«
»Gordon.«
»Gordon ist tot.«
»Ich bin es, Gordon Paulson.«
»Ah«, sagte er, dann trank er den zweiten Schnaps. Er betrachtete mich durch das Glas, sagte: »Gordongordongordongordongordon.«
Er blickte in das leere Glas, dann setzte er es wieder an, trank einen zusammengelaufenen restlichen Tropfen. Er stellte es hart auf dem Tresen ab. »Du bist es also, die Hoffnung.«
»Hoffnung? Wieso?«
Er winkte der Bedienung und zeigte auf sein leeres Glas. Sie kam, brachte mir mein Wasser und schenkte ihm erneut nach. »Langsam, Freddy«, befahl sie. »Lass es langsam angehen.«
»Sonst nichts?«, fragte sie mich und öffnete den obersten Kopf ihrer Jacke.
»Nein, danke.«
Ich neigte mich vor, um an Frederiks Glas zu riechen. Anis. Es war Alkohol. Er griff in seine Hosentasche, holte meinen Geldschein heraus, befeuchtete ihn mit der Zunge und klebte ihn auf dem Tresen fest. »Wenn der alle ist, ist Schluss.«
Er drehte sich auf dem Hocker mit dem Glas in der Hand und sah mir ins Gesicht. Der Schnaps war ihm in die Augen gestiegen. »Und?«, sagte er. »Hast du es gefunden?«
»Was gefunden?«
»Was weiß ich. Das, was der Alte sucht.«
»Ich weiß nichts davon.«
»Prost!«, sagte er und trank sein Glas aus. Er stellte es ab und legte eine Hand auf meine Schulter.
»Gordon. Du bist Gordon. Gordon Paulson. Einen verrückten Moment lang dachte ich, du wärst der andere, wärst nach all den Jahren zurückgekehrt. Aber dann müsstest du alt sein, älter als ich. Manchmal denke ich, er wollte nicht zurückkommen. Unser Gordon. Aber wahrscheinlich hat es dir keiner erzählt, dass es schon mal einen Gordon gab.«
»Welcher andere Gordon?«
»Ha, ich wusste es, der Alte hat es dir nicht erzählt. Deshalb erzähle ich es dir. Und du kannst es ihm ruhig sagen, vom wem du es hast.«
Er nahm seine Hand wieder von meiner Schulter und winkte der Bedienung.
Er sah zu, wie ihm das Glas gefüllt wurde, und hielt den Daumennagel an den Eichstrich.
»Als wenn ich geizig damit wäre«, protestierte die Frau hinterm Tresen. Sie goss bis zum Rand voll, und Onkel Frederik neigte sich über das Glas, führte die Lippen heran und schlürfte einen Schluck ab. Er grinste. »Wie wär's ohne Jacke?«, sagte er zu ihr.
»Als wenn das bei dir noch helfen würde.«
Er drehte sich wieder zu mir.
»Es ist egal, ob du mir glaubst. Aber wir waren drei. Gordon, Frank und ich. Gordon war der Älteste.«
»Frank? Mein Vater? Willst du damit sagen, ihr seid drei Brüder gewesen?«
»Genau das. Und ich sehe es deinem Gesicht an, dass er es dir verschwiegen hat, denn er ist schuld an seinem Tod.«
»Aber wieso schweigen alle
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