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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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weitergeben. Es soll sich von Generation zu Generation übertragen.«
    Frederik rüttelte mich an der Schulter. Er war mir so nah, dass sich sein Anisatem in meinem Gesicht niederschlug.
    »Ich weiß nicht, wo er wohnt. Ich habe ihn seit fast zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Seit ich mich vor ihm verstecken muss. Wie hast du mich gefunden?«
    Frederik stützte sich jetzt schwer auf meine Schultern. »Wie hast du mich gefunden?«
    »Durch deine Tochter.«
    Sein Mund öffnete sich, zeigte braune Zähne. »Du weißt von ihr. Salina. Dann ist sie verloren. Er wird sie finden, so wie du sie gefunden hast. Er wird mich finden. Aber Salina ist klug. Weißt du, was sie sagt? Man muss seinem Feind ein Auge ausreißen, damit man in seinem toten Winkel leben kann. Wenn jemand weiß, wo der Alte wohnt, dann sie.«
    »Aber was will er von dir?«
    »Er will Salina, ist doch klar, meine Tochter. Sie ist leicht, leicht genug für einen neuen Ballon. Er will sie mir wegnehmen, dressieren wie dich. Und ich kann sie nicht mehr beschützen. Riechst du es nicht? Ich bin eine Leiche. Ich habe endlich die richtige Methode gefunden, mich umzubringen. Ich liege praktisch schon als Anschauungsobjekt in Spiritus.«
    Mit einer Handbewegung orderte er einen weiteren Schnaps. Die Frau ließ die Flasche stehen, damit er sich selbst bediente, und kerbte mit dem Fingernagel das Etikett. »Bis dahin«, sagte sie.
    »Wie lange hat er dich in den Fingern gehabt?«
    »Die ersten Jahre natürlich, aber als ich sechzehn, siebzehn wurde, hab ich nicht mehr alles getan, was er wollte.«
    »Ah ja, bist du sicher? Was machst du heute?«
    »Ich bin Designer.«
    »Und was ist das, was du machst?«
    »Ich entwerfe vor allem Schriften.«
    Seine Hände zuckten von meinen Schultern zurück.
    »Er schickt dich doch, nicht wahr?«
    »Wer? Nein!«
    Er wandte sich seinem Schnapsglas zu, stützte beide Arme auf den Tresen. »Verschwinde!«
    »Aber ...«
    »Verschwinde!« Er trat mit einem Fuß nach meinem Barhocker. Ich stand auf und legte einen Geldschein auf den Tresen. Frederik erhob sich etwas und spuckte darauf. »Dein Geld will hier niemand.«
    Ich ging hinaus und sah mich noch einmal um. Mein Onkel hatte seine Hände über dem Kopf gefaltet. Die Frau hinter dem Tresen sah mich an, hob die Brauen und zuckte mit den Achseln.
    Diesmal war es einfach, ein Taxi zu bekommen. Ich war schon fast zu Hause, als mir einfiel, dass er Salina anrufen würde. Ich ließ mich zurückfahren und kam genau rechtzeitig, um zu sehen, wie er, von seiner Tochter gestützt, aus der Bar kam. Sie zog und schob ihn in Richtung eines alten rostigen Autos.
    »Folgen Sie dem Wagen.«

5
    Salina kam hinter dem Werkstattgebäude hervor, trug einen frisch gebügelten Monteuranzug, diesmal mit einem weißen Hemd darunter. Der Wind drückte von vorn gegen den Anzug, so zeichnete sich ihr Körper ab. Für einen Moment wirkte sie wie ein Stoffdrachen, von Kindern gebaut, ihre Glieder die Holzleisten. Sie blieb stehen, wickelte mit den Armen den Stoff um ihren Körper, um nicht fortzufliegen.
    Ich hob die Hand zum Gruß. »Unser Ausflug zur Kiesgrube war ein nettes Täuschungsmanöver. Ich hatte mir schon gedacht, dass du mit deinem Vater in einem der Wohnwagen am Ende des Geländes wohnst. Gib es zu.«
    »Und ich dachte mir schon, dass du es bist, der uns in dem Taxi folgt.« Sie betrachtete einen kleinen dunklen Stein, setzte einen Fuß auf ihn, rollte ihn unter der Sohle.
    »Wo ist Frederik?«
    »Er schläft jetzt.«
    Unbeholfen schoss sie den Stein weg. Er sollte mich treffen, rollte aber an mir vorbei.
    »Er spielt nicht die Rolle eines Bettlers und Alkoholikers. Er ist einer! Er ist am Ende, nicht wahr? Und du pflegst ihn. Sein Geruch hat ihn verraten. Er roch nach Waschpulver.«
    Ihre Kaumuskeln traten hervor. Sie knurrte, dann wurden Worte aus dem Knurren: »Er stinkt. Jedes Mal, wenn er von seinen Touren zurückkommt, stinkt er. Ich wasche einfach dagegen an, wasche alles, was er getragen hat. Ich wasche, schrubbe, scheuere. Was soll ich sonst machen? Gibt es eine andere Lösung? Die meisten Löcher in seiner Kleidung sind wahrscheinlich durch das ständige Waschen entstanden, aber ich kann nicht anders. Es ist eklig. Wenn ich seine Sachen gewaschen habe, riechen sie für mich trotzdem noch. Es geht nicht raus. Manchmal wasche ich sie ein zweites Mal. Und wenn ich damit fertig bin, fühle ich mich schmutzig, als wäre der Dreck beim Waschen auf mich übergegangen. Dann muss ich mich selber

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