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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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alten Freund mitansehen zu lassen, mit welch professionellem Geschick er Druck auf jemanden ausüben konnte. In diesem Fall auf eine junge Frau, die für die beiden keine Fremde war, die ihnen ans Herz gewachsen und zu einer der Ihren geworden war.
    Voller Schmerz verzog er das Gesicht, als er sich daran erinnerte, wie Nasar geweint hatte, in einer Ecke kauernd, untröstlich und kindlich. Wie unangemessen sich die kläglichen Versuche seines Vortrags zu dem Thema »Eine Hexe ist auch ein Mensch« ausgenommen hatten.
    Julian nahm ihm die Sache ganz ohne Frage übel. Und hatte er nicht auch wirklich das Recht, von seinem Freund in einer schweren Stunde Hilfe zu erwarten – statt dieser banalen Erläuterungen? Tatsächlich hätte er, Klawdi, Hilfe leisten können, indem er Nasar einige Fälle aus der Praxis geschildert hätte, damit dieser, der gestern noch so verliebt gewesen war, sich wieder zu ihnen ans Lagerfeuer hätte gesellen können.
    Die Straße machte eine Kurve. Klawdi bremste ab. Am Rand parkte ein Wagen der Tschugeister, ein helles Auto mit einem gelb-grünen Blinklicht auf dem Dach.
    Er drückte die zu Ende gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und vertrieb den angewiderten Ausdruck, der sich unwillkürlich auf sein Gesicht geschlichen hatte. Zwei kräftige Männer stopften etwas in einen Plastiksack, das noch vor Kurzem eine Njawka gewesen war. Ein dritter stand an der Straße und rauchte ebenfalls. Der grüne Graf interessierte ihn nicht mehr als ein sich rasch auflösender Nebel.
    Klawdi unterdrückte den Wunsch anzuhalten. Schließlich mischte sich der Tschugeister-Dienst ja auch nicht in die Belange der Inquisition ein. Wer auch immer die Unglückselige gewesen sein mochte, deren Überreste nun in dem Beutel landeten, davor war sie jedenfalls eine Njawka gewesen, eine wandelnde Leiche, ein Wesen, das den Tod brachte.
    Etwas schüttelte ihn. Der Wagen mit dem Blinklicht und die Menschen am Straßenrand lagen bereits weit hinter ihm, er rauchte eine Zigarette nach der anderen und tastete im Handschuhfach nach einer neuen Schachtel, die er vor sich selbst versteckt hatte.
     
    (Djunka. Juni)
    »Willst du wissen, auf wen die Ameise zukrabbelt? Die krabbelt auf dich zu.«
    Der Sand hatte eine seltsame Farbe. Grellgelbe Flecken wechselten mit hellgrauen, eine feste Kruste, die noch von dem gestrigen Regenschauer zeugte, knackte erwartungsgemäß unter den nackten Füßen, und in diesen Mulden ihrer Fußspuren hielten die Ameisen Hof, friedliche, schwarze Tiere, die nicht bissen.
    »Wollen wir zum anderen Ufer rüberschwimmen?« Djunka lächelte.
    All das musste schon einmal jemand erlebt haben. Der warme Sand gab in allzu vertrauter Weise unter den Füßen nach. Es roch nach Wasser und nach Weiden.
    »Hier ist es doch schön«, antwortete er verblüfft. »Oder nicht?«
    (Seine berühmte Intuition schwieg, als sei sie taubstumm.)
    Djunka steckte sich die Haare hoch. Er staunte jedes Mal, wie sie so klar artikulieren konnte, während sie ein halbes Dutzend Spangen im Mund hielt.
    »Was ist jetzt? Wollen wir rüber oder nicht?«
    Am anderen Ufer standen Kiefern. Fünf hohe Bäume, die es aus unerfindlichen Gründen in das Reich der Weiden verschlagen hatte. Über den nadelbedeckten Sand rannte ein großes Eichhörnchen.
    »Du weißt doch, was für einen Schwimmer ich abgebe.« Gedankenversunken rieb er sich die Nasenspitze.
    Djunka klimperte mit den Augen. Ihren Klassenkameraden gegenüber verhielt sie sich ganz ungezwungen, aber bei Klaw versetzte sie jedes missverstandene Wort in Panik. Diesmal hatte sie offenbar seine Eitelkeit angekratzt, denn bis zum anderen Ufer würde er es in der Tat nicht schaffen.
    »Gut, dann nehmen wir das Boot …«
    Das sogenannte Boot gehörte drei jungen Männern, die auf drei abgenutzten Strandmatten lagen und auch die Besitzer der drei Motorräder im Hintergrund waren. Sie tranken Limonade und verschoben träge irgendwelche Spielsteine. Unmittelbar am Wasser lag ein riesiger Schlauch von einem LKW-Reifen, der teilweise schon trocken und so grau wie Asphalt, teilweise aber noch nass und schwarz wie eine Robbe im Zoo war. Klaw zog die Brauen hoch. Sein gesunder und nüchterner Menschenverstand verbot es ihm, diese drei Kerle um etwas zu bitten.
    Aber Djunka stapfte bereits los, wanderte direkt zu den dreien hinüber. Eifersüchtig registrierte Klaw, wie sich drei trübe Augenpaare von den Spielsteinen losrissen und wie in ihnen, in diesen Blicken, ein Feuer aufloderte, das

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