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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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Holztreppe wusste sie genau, dass die vierte Stufe einbrechen würde, und das tat sie auch. Und unter der Treppe lag eine Plastikpuppe, rosafarben, als sei sie mit heißem Wasser überbrüht worden, mit weißen Haaren, für immer von Wasserstoffperoxid verhunzt.
    Ywha lief weiter. Sie verirrte sich, kam immer wieder an denselben Ort zurück. Sie hüllte sich in Schweigen. Ywha kämpfte mit der Leere, mit dem Schatten, zog die Zeit wie ein Gummiband in die Länge, denn das Feuer erhob sich höher und höher.
    Sie sah mit ihren Augen. Sah, wie sich die Pupillen des Mannes in undenkbarer Weise erweiterten, die Pupillen jenes Mannes, der …
    »Klawdi! Klawdi! «
    Der Name half ihr. Sie schrie, böse und wütend, und lief weiter, suchte den Ausgang, denn hier musste es einen Ausgang geben, es musste … einen Ausgang …
    Sie kam zu einem Zimmer, dessen Boden mit Orangenschalen und Kerzenstummeln bedeckt war.
    Dann ein leeres Zimmer mit einer Decke, die mit silbergrauem Menschenhaar zugewachsen war.
    Ein Treppenhaus. Hier war sie schon gewesen, nein, doch nicht, das war eine andere Treppe, die ins Nichts führte und an deren Rand jemand mit den Beinen baumelte …
    »Klawdi?!«
    Der Mann drehte sich um.
    Das war nicht Klawdi. Das war jener Mann, der mit ihr, der Zehnjährigen, mitgefahren war, in dem Bus über das Land, sich so nett mit ihr unterhalten und ihr einen Apfel gegeben hatte, während er selbst die ganze Zeit mit der Hand über das brennende Kunstleder des Sitzes strich und seine Hand dann unter sie, unter ihr Kleid und auch unter ihren schmalen Kinderpo schob.
    Sie fauchte durch die Zähne, nicht wie eine Katze, sondern wie eine Schlange. Es katapultierte den Mann vom Rand der Treppe, und er fiel in den Abgrund. Sein nicht endender Schrei begleitete Ywha, während sie weitersuchte.
    Eine geschlossene Tür. Noch eine. Ein leerer Raum. Das Antiquariat, hinter dessen Tür der bleiche Nasar stand, dann Professor Mytez mit der Mandoline, dann eine Blondine mit großer Nase, ihre Klassenkameradin von der Kunstschule, die immer von der Liebe der Schwäne erzählt hatte …
    Und dort, hinter der Eisentür, stand ihr Vater. Sie war sieben Jahre alt. »Geh heute nicht raus, meine Kleine.« »Aber ich möchte so gern, Papa!« »Geh nicht, ich bitte dich!« »Aber ich will !« »Dann geh, meine Kleine, nur zu …«
    Feuchter Lehm, der platschend in eine Grube fiel.
    Wenn ich damals zu Hause geblieben wäre – mein Vater würde noch leben.
    Sie stürzte weiter. Alle Türen hinter sich schließend, zuknallend, möglichst weit weg von jener Eisentür – zu der sie sich doch immer wieder umdrehte. Wenn ich damals nicht gegangen wäre … damals … wenn ich gleich alles gesagt … wenn ich damals alles erklärt hätte … wenn ich es verstanden … wenn ich es nur vorher gewusst hätte!
    Diejenige, die da in dem geschnitzten Stuhl sitzt, diese reglose Statue, an der die Zeit genagt hat – bin ich das?
    Als sie die nächste Tür aufriss, fand sie sich in der Turnhalle ihrer Schule wieder. Ihre Mitschüler, achtjährige Kinder, drückten sich an der gegenüberliegenden Wand herum. Sie alle trugen Turnhosen, und ihre nackten Knie funkelten. Sie wollte schon zurückweichen, wollte diesen Winkel der eigenen Seele nicht erkunden, doch dort, auf dem Boden, da lag eingeringelt eine Schlange.
    »Folgt dem Faden. Hört auf eure Natur.«
    Verschreckt starrten die Jungen und Mädchen einander an. Unter ihnen machte sie diejenigen aus, die sie gejagt hatten, und diejenigen, die ihr Pausenbrot mit ihr geteilt hatten. Die erste Gruppe war natürlich größer. »Verhaltet euch so, wie es euch eure Natur vorgibt. Folgt eurem wahren Wesen. Und wenn die Zeit kommt zu sterben, so sterbt. Und wenn die Zeit kommt zu leben, so lebt. Schreitet Fuß für Fuß den Faden entlang, kommt nicht vom Weg ab, denn dies ist euer Weg, geht ihn bis zum Ende!«
    Aber du bist deinen Weg bereits gegangen, wunderte sich die Schlange.
    Dort, am Ende des Saals, standen inzwischen keine halb nackten Kinder mehr, sondern schweigende Frauen, deren ernster Blick sie nicht eine Sekunde lang freigab.
    Du bist deinen Weg schon gegangen! Du hast deine Wahl bereits getroffen, Ywha! Deine Kinder …
    Die Windhose packte sie. Die Windhose trug sie in Kreisen, in einer Spirale, nach oben und hinauf zum Sternenstaub, hob sie über die reglose Statue auf dem geschnitzten Stuhl hinaus, der sie, an ihr vorbeifliegend, in die riesigen, gleichgültigen Augen blickte – die ihre

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