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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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ihrem Arm.
    Er fuhr wirklich einen Maxik. Einen kleinen Wagen, dessen Hintern offenbar gerade Bekanntschaft mit dem Laster geschlossen hatte, sah der Kofferraum doch wie eine Quetschkommode aus.
    »Ich habe jetzt einen Tag frei … Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin kein Tier … Aber schau mal in den Spiegel. Du bist eine schöne Frau … Ich versteh ganz gut, dass die Inquisition euch jagt, aber ich gehöre nicht dazu … Wirf deine Tasche auf den Rücksitz, was klammerst du dich so daran fest, ich nehm sie dir schon nicht weg!«
    Die gelbe Mauer zog an ihnen vorbei, immer schneller und schneller.
    Ywha atmete stoßweise und schloss die Augen.
     
    Odnyza empfing Klawdi mit einer stickigen Nacht, einer Lichterkette und einem gepanzerten Wagen am Rande der Landebahn, einem schwarzen Ding, das aus der Ferne an einen feuchten Lackschuh erinnerte.
    »Nieder mit dem Abschaum, Patron.«
    Es verging eine volle halbe Minute, bevor er die Stimme erkannte, diese tiefe und kräftige Stimme einer verhinderten Opernsängerin. Wie sich ihre Trägerin in den letzten drei Jahren verändert hatte! Nicht gealtert war sie, aber sie hatte sich doch stark verändert. Oder trug daran das künstliche gelbe Licht der Scheinwerfer die Schuld?
    Die getönten Scheiben des Autos verwandelten die Außenwelt in eine weiche, matte Märchenlandschaft. Ungeachtet der späten Stunde funkelten in Odnyza überall Lichter, Reklametafeln drehten sich, die Stadt machte den Touristen schöne Augen. Gleich fiel Klawdi wieder ein, wie er vor gut dreißig Jahren zum ersten Mal mit seiner Mutter in diese Stadt gekommen war. Auch damals in der Nacht. Am Flughafen hatten sie sich ein Taxi genommen, durch die Scheibe hatte Odnyza wie eine verzauberte Stadt gewirkt.
    »Kurator Mawyn hat einen Bericht vorbereitet, Patron. Sobald Sie es wünschen …«
    »Nachts achte ich nicht auf die Etikette«, ließ Klawdi trocken fallen. »Quäl mich nicht, Fedora, ich bin ohnehin schon am Ende meiner Kräfte. Wie geht es deinen Kindern?«
    Es folgte eine Pause. Die Autos, die noch in großer Zahl durch die nächtlichen Straßen fuhren, machten dem gemächlich dahinzuckelnden schwarzen, gepanzerten Wagen respektvoll Platz. Der kurz geschorene Nacken des Fahrers hinter der blauen Trennscheibe fing den Widerschein der Lichter ein, was ihn wie einen Planeten wirken ließ, um den Hunderte von Gestirnen kreisten.
    »Den Kindern … geht es gut«, antwortete Fedora stockend. »Allen … geht es gut.«
    »Ich wusste nicht, dass du jetzt in Odnyza bist«, gab Klawdi ehrlich zu.
    »Wyshna ist eben nicht in der Lage, alle Versetzungen im Auge zu behalten«, sagte Fedora mit fahlem Lächeln. »Das wäre auch ungewöhnlich.«
    »In den letzten drei Jahren hast du ordentlich Karriere gemacht.«
    »Ich gebe mir alle Mühe.«
    »Wie stehst du zu diesem Querulanten Mawyn?«
    Eine weitere Pause, die Klawdi zu verstehen gab, dass er sich im Ton vergriffen hatte.
    »Unser Verhältnis ist einigermaßen gut«, erklärte die Frau schließlich. »Aber nicht eng – falls du das wissen wolltest.«
    Klawdi wollte ihr schon versichern, dass er das nicht wissen wollte, hielt sich jedoch im letzten Augenblick noch zurück. Dies hätte erst recht taktlos gewirkt.
    »Dein Besuch war immerhin nicht eingeplant«, sagte Fedora mit einem kurzen Lachen. »Er kam ziemlich überraschend. Das war zu viel für Mawyn. Er hat nämlich Angst vor dir.«
    »Ach ja?«, staunte Klawdi.
    Die Frau holte tief Luft. »Also …« Sie senkte den Blick. »Für mich wäre es leichter gewesen, wenn wir uns an die Etikette gehalten hätten.«
    Leichter, das muss nicht immer heißen: besser, wollte Klawdi schon einwenden. Doch auch diesmal beherrschte er sich, vertrieb den bedeutungsschweren Satz von der Zunge. Was sollte das bringen? Fedora würde ihn für weiser halten, als er eigentlich war …
    Er lächelte schief, die Frau verkrampfte sich.
    »Wir können gern zur Etikette zurückkehren«, lenkte er ein.
    »Dazu ist es jetzt zu spät«, entgegnete Fedora. »Jetzt würde mich das verletzen.«
    Ein eiserner Charakter, ein brillanter Verstand – und die Empfindlichkeit eines hässlichen Teenagers. Nein, niemals hätte er es ihr recht machen können. Und vermutlich würde er das auch nie fertigbringen.
    »Was glaubst du, weshalb ich gekommen bin?«
    Wieder schlich sich Anspannung in ihre schönen, kalten Augen. Fast Schrecken. Oder täuschte ihn auch diesmal das gespenstische, dahinhuschende Licht?
    »Klawdi … Klaw …«

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