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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Ich akzeptiere es nicht, wenn ein Mann seine Frau nach dreißig Jahren Ehe einfach verläßt und das auch noch als Frömmigkeit bezeichnet. Niemals werde ich das akzeptieren.«
    »Vielleicht siehst du das zu einfach«, erwiderte Yehoshuah.»Vielleicht gab es manches, was nicht gestimmt hat in der Ehe unserer Eltern, und vielleicht hat er uns zuliebe gewartet mit einem Schritt, der schon viel eher nötig gewesen wäre. Denk nur mal an die Zeit, als du sieben oder acht Jahre alt warst, wie oft sie da…«
    »Und warum gewährt er ihr dann nicht die Scheidung? Wenn er sie schon verläßt, dann könnte er ihr wenigstens die Chance geben, ein neues Leben anzufangen. Er hat das ja schließlich auch getan.«
    »Die Tradition gebietet…«
    »Ah, die Tradition! Natürlich, da haben wir sie wieder, die Tradition. Die heilige Tradition. Da seid ihr euch gleich, du und Vater. Ihr betet nicht zu Gott, ihr betet die Tradition an. Ich will dir was sagen: Mir steht sie bis hier, deine Tradition, die nichts anderes heißt, als daß ihr euch zu Sklaven macht von Leuten, die seit Jahrtausenden tot sind!«
    »Tradition ist das, was uns als Volk über die Jahrtausende zusammengehalten hat.«
    »Oh, ist es das? Ich erschauere vor Ehrfurcht. Und welchen Preis zahlen wir dafür, du und ich und jeder hier in diesem Land? Wie ein Fluch lastet sie auf uns, die ehrwürdige Tradition, zwingt uns zu ewiger Erinnerung, Erinnerung, so viel Erinnerung, daß wir unser eigenes Leben darüber vergessen. Ist es nicht so? Wie lange ist der Exodus her? Dreitausend Jahre? Ganz schön pfiffig mußten sie damals sein, unsere Urahnen, die vierzig Jahre durch die Wüste geirrt sind auf der Suche nach dem gelobten Land. Sie behalfen sich, indem sie Hütten aus Palmwedeln bauten, und wenn es sein mußte, aßen sie ihr Brot ungesäuert, und damals war das wahrscheinlich eine sinnvolle Problemlösung. Aber seither? Seither müssen wir an Sukkot Laubhütten bauen und an Pessach ungesäuertes Brot essen, nach dreitausend Jahren immer noch, Jahr um Jahr, und immer weiter bis ans Ende aller Tage. Warum müssen wir immer noch mit Leuten leiden, deren Knochen längst zerfallen sind? Ist unser Leben heute weniger wert? An meinem ersten Auto war das Schloß am Kofferraumdeckel kaputt, und ich habe ihn die ganze Zeit mit einem Gummiband zugehalten. Aber das heißt doch nicht, daß von jetzt an bis in alle Ewigkeit jeder den Kofferraum an seinem ersten Auto mit einem Gummiband zuhalten muß! Und genau das ist es, was unsere heilige Tradition mit uns macht: Irgend jemand hat ganz am Anfang der Geschichte irgend etwas gemacht, und er war noch frei dabei — aber er hat alle, die nach ihm kamen, damit versklavt.«
    Yehoshuah sah sich unbehaglich um. Der Frühstücksraum war nicht allzu voll, die Tische neben ihnen unbesetzt, aber allein die zunehmende Lautstärke ihrer Unterhaltung erregte allmählich Aufmerksamkeit. Sein Unterkiefer mahlte nervös hin und her.»Warum mußt du immer gleich so maßlos übertreiben? Ohne Grenzen, ohne… inneres Gefühl dafür, wie weit man gehen darf?«
    Judith ließ sich mit einem kapitulierenden Seufzer nach hinten gegen die Lehne ihres Stuhles sinken und stierte mit gesenktem Kopf auf den Tisch, als seien alle Antworten im ausgebleichten Muster der Tischdecke zu finden.»Nun geht endlich. Und erlaubt, daß ich hier bleibe und meine eigenen Leiden bejammere.«
    »Ja, genau das werden wir tun.«Yehoshuah war wütend, als er aufstand. Stephen stand auch auf und fühlte sich unbehaglich, der Auslöser dieses Streits gewesen zu sein.
    »Stephen?«fragte Judith und warf ihm von unten her einen Blick zu, in dem beinahe so etwas wie Schadenfreude schimmerte.»Du wolltest doch immer wissen, wie das ist, eine Zeitreise zu machen? Dann paß jetzt gut auf.«
    »Im offiziellen Sprachgebrauch«, erklärte Shimon Bar-Lev,»heißt sie nicht mehr Klagemauer, denn die Zeit des Klagens ist vorüber. Es ist die Westmauer.«
    »Gut, meinetwegen die Westmauer.«John Kaun zuckte mit den Schultern.»Das ändert nichts am Problem.«
    »Haben wir überhaupt ein Problem?«fuhr Bar-Lev fort.»Sie fabrizieren hier in einem fort die abenteuerlichsten Hypothesen, und jedesmal kommt am Ende heraus, daß Sie glauben, sich an irgendeinem jüdischen Heiligtum vergreifen zu müssen. Ich finde die Schlußfolgerungen, die Sie aus dem Tagebucheintrag ziehen, mit Verlaub gesagt, nicht nachvollziehbar.«
    »Verehrter Kollege«, meldete sich die orgelnde Baßstimme Professor

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