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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Denkfehler aufmerksam gemacht hatte, die das gesamte Projekt hätten scheitern lassen können. Jarnail Singh, der in unglaublicher Rekordzeit Auswerteprogramme geschrieben hatte, die zusätzlich erforderlich geworden waren, und dabei noch Witze gemacht hatte. So viele Menschen, denen er dankbar sein mußte.
    Hughs älteste Tochter Beth war vierzehn gewesen, als Stephen bei den Cunninghams zu Gast gewesen war. Es hatte Kressesuppe gegeben und marinierten Lammbraten mit Kartoffelklößen und überbackenem Gemüse und eine unglaubliche Fruchtcreme als Nachspeise, und die ganze Zeit hatte Beth ihn fasziniert angestarrt, weil er, wie Hugh ihm später einmal erzählte, so alt gewesen war wie Grant, ein Junge aus einer der höheren Klassen, für den sie gerade schwärmte, aber Stephen hatte einen richtigen Anzug mit Krawatte getragen und so reif und erwachsen gewirkt. Kurz darauf hatte sie aufgehört, für Grant zu schwärmen, was Hugh mit sichtlicher Erleichterung ebenfalls berichtete — eine Erleichterung, die verständlich wurde, als Grant einige Jahre darauf wegen Drogenhandels von der High School weg verhaftet wurde.
    Etwas in ihm weigerte sich, das alles zu glauben. Daß Hugh Cunningham tot sein sollte. Wer würde jetzt sein Ansprechpartner sein? Miss Garrity womöglich. Die würde sein Kreditkartenlimit natürlich auch erhöhen, aber erst, nachdem er die notwendigen Unterschriften auf die notwendigen Formulare gesetzt hatte und natürlich erst mit Wirkung ab dem darauffolgenden Monat. Keinesfalls aufgrund eines Telefonats und sofort. Also würde er sich Geld anweisen lassen müssen, und das würde ziemlich lange dauern, weil die Banken immer noch so taten, als sei es eine ungeheure Leistung, Geld an einen anderen Ort auf dem Planeten zu überweisen. Wenn es um ihre Derivathändler und Devisenbroker ging, da konnten sie Millionenbeträge in Sekundenbruchteilen transferieren, aber wenn es um die Geldgeschäfte ihrer Kunden ging, vermittelten sie einem das Gefühl, es kämen reitende Boten zum Einsatz. Er konnte versuchen, mit seiner American Express an Bargeld zu kommen, aber das würde allenfalls für die Lebenshaltungskosten ausreichen. Die Tauchausrüstung dagegen würde teuer werden, da durfte er sich keine Illusionen machen.
    So kurz vor dem Ziel, und nun drehte sich der Wind und blies ihm ins Gesicht. Er versuchte, sich plastisch vorzustellen, wie er den Taucheranzug anlegte, zu fühlen, wie sich das Neopren eng und weich um ihn schloß, das Gewicht der Gasflaschen, den Druck der Tauchmaske auf dem Gesicht, die jähe Kälte des Wassers beim Eintauchen, versuchte, den metallischen Geschmack der Atemluft aus dem Lungenautomaten zu schmecken. Das war immer sein Halt gewesen, wenn es schwierig wurde auf dem Weg zu einem Ziel: es sich so lebhaft wie möglich vorzustellen, so, als habe er es bereits erreicht. Also durchwanderte er im Geist den engen Schacht, kaum breiter als seine Schultern und eine halbe Meile lang, erhellt nur vom Licht seines Brustscheinwerfers, doch das Bild verschwamm vor seinem inneren Auge, die zugehörigen Empfindungen ließen sich nicht wachrufen, es entglitt ihm um so schneller, je mehr er sich mühte.
    Er mußte die gelinde Panik niederkämpfen, die in ihm aufstieg. Wahrscheinlich war er einfach durcheinander wegen der Nachricht von Hughs Tod, sagte er sich. Das hatte nichts zu bedeuten. Alles, was er tun mußte, war, sich zu entspannen und die Dinge sich setzen zu lassen, dann würde es wieder gehen. Es würde sich ein Weg finden. Es fand sich immer ein Weg. Bis jetzt jedenfalls war es immer so gewesen.
    Irgendwann hörten seine Gedanken dann auf, sich um und um im Kreis zu drehen, einfach so. Er saß nur noch da, blickte vor sich hin, ohne etwas zu sehen, und die Zeit verging. Er hörte die Stadt — Autos, die vorüberfuhren, Leute, die sich in den zungenbrecherischen Idiomen dieses Landes unterhielten, ein Transistorradio irgendwo, aus dem sehnsüchtige arabische Weisen klangen. Wasser gluckerte lautstark durch Rohrleitungen in der Wand. Betten quietschten. Es roch nach Abgasen, nach gebratenem Hammelfleisch und nach Müll, der in überquellenden Tonnen vermoderte. Und die Uhr an der Wand tickte.
    Es war eigenartig. Es war, als habe er sich die letzten Tage durch die Zyklonstürme eines Hurrikans gekämpft und plötzlich das windstille Auge in seiner Mitte erreicht. Alles in ihm wurde still und ruhig, aller Aufruhr legte sich. Er hätte nicht mehr sagen können, wie spät es war oder

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