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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Goutieres zu Wort,»erlauben Sie, daß ich Ihnen widerspreche. Ich finde, die Westmauer ist als Versteck für die Zeitkapsel nicht nur geeignet, sondern sogar so naheliegend, daß wir uns schämen müssen, nicht schon längst selber darauf gekommen zu sein. Insbesondere jetzt, da wir erfahren haben, daß es keine geplante Aktion, sondern ein wunderlicher Schicksalsschlag war, der den unbekannten Zeitreisenden in die Vergangenheit gebracht hat. Denn stellen Sie sich doch nur seine Situation einmal plastisch vor: Er hat noch seine Videokamera, und er geht daran, Jesus zu filmen. Natürlich überlegt er sich, wie er die Aufnahmen in die Zukunft retten kann. Wir wissen, er hat eine Rundreise durch verschiedene historische Stätten Israels unternommen. Ist es nicht naheliegend anzunehmen, daß er, ehe er eine doch eher zweitrangige Sehenswürdigkeit wie die Nekropole von Bet Shearim aufsuchte, längst in Jerusalem gewesen ist? Wenn, dann hat er zweifellos auch dort Aufnahmen gemacht — mit anderen Worten, er kann sich im Videomonitor seiner Kamera genau anschauen, wie die Westmauer einmal aussehen wird, sich sozusagen genau den richtigen Stein aussuchen.«
    »Und dann?«hielt Bar-Lev dagegen.»Wie hat er die Kamera in den Stein hineingebracht?«
    »Indem er sich unter die Bauarbeiter mischte.«
    »Das hätte er frühestens nach der Kreuzigung Jesu, also im Jahre 30 tun können. Zu diesem Zeitpunkt war der Tempel längst fertiggestellt. Der Tempel selbst und seine Grundmauern waren schon errichtet, als König Herodes starb, und das war im Jahr 4 vor der Zeitrechnung.«
    »Josephus ben Mattityahu berichtet, daß die Arbeiten am Tempel bis unmittelbar vor Ausbruch des Aufstandes gegen die Römer im Jahre 66 andauerten. Wir müssen davon ausgehen, daß die ganze Zeit hindurch ständig Ausbesserungen und Umbauarbeiten erfolgten.«
    »Dann hätte er immer noch das Problem gehabt, an massive Steinquader heranzukommen, die sich damals in zwanzig Metern Höhe befanden.«Der stellvertretende Ausgrabungsleiter sah in die Runde, sein Blick blieb am längsten auf Kaun haften.»Nicht wahr? Das heute frei zugängliche Stück der Westmauer ist das obere Ende, etwa zwanzig Meter sind noch in der Erde verborgen.«
    »Das spräche dafür, daß er die Kamera in einem der obersten Quader versteckt hat«, schlußfolgerte Kaun kühl.»Die waren von oben her zugänglich.«
    Bar-Lev hob den Kopf.»Und? Was wollen Sie machen? Die Westmauer ist ein Heiligtum, und schwer bewacht obendrein. Nicht einmal, wenn Sie genau wüßten, in welchem Block die Kamera steckt, könnten Sie sie dort herausholen.«
    »Wie hat sie das gemeint?«fragte Stephen, während er den Wagen nach den Anweisungen Yehoshuahs durch die Stadt lenkte.
    »Mein Vater lebt in Mea Shearim«, erklärte Yehoshuah und klang, als fühle er sich unwohl dabei.»Das ist das Viertel der streng orthodoxen Juden.«
    Sie fuhren eine der Ausfallstraßen Richtung Nordwesten, bis Yehoshuah ihn anwies, einen Parkplatz zu suchen. Dann gingen sie ein Stück die Hauptverkehrsstraße entlang und bogen schließlich in eine enge Seitengasse ein.
    Stephen glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Wenn er nicht gewußt hätte, daß sie in Jerusalem waren, mitten im jüdischen Staat, er hätte geglaubt, in ein Ghetto geraten zu sein, in das ein unterdrückerischer Staat eine ihm verhaßte Minderheit unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt hatte. Sie gingen durch bedrückend enge, sinnverwirrend gewundene Gassen, die erfüllt waren von dem schweren Geruch gedünsteten Kohls und von Menschen, schwarz gekleideten Männern mit wallenden Barten und Frauen, die trotz der sich ankündigenden Hitze des Tages so sorgsam in schäbige Kleidung gehüllt waren, als stünde ein polnischer Wintertag bevor. So mußten die Ghettos im Osteuropa des neunzehnten Jahrhunderts ausgesehen haben, aber dies war kein Museum, keine szenische Nachbildung früherer Unterdrückung, sondern furchteinflößend ernstgemeint.
    Immer wieder begegneten sie großen, angerosteten Schildern, auf denen in Englisch und Hebräisch Warnungen ausgestoßen wurden wie Jüdische Tochter! Die Thora verpflichtet dich zu sittsamer Kleidung oder Wir dulden keine unmoralisch gekleideten Passanten. Man begegnete ihnen mit mißtrauischen, abweisenden Blicken.
    Es war ein bedrückendes Labyrinth aus lichtlosen Häusern mit schmalen Eingängen und engen Hinterhöfen, durch das Yehoshuah ihn lotste. Manche der Gassen waren mit Wellblech überdacht, das, vom

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