Das Jesus Video
Leinenbeutel neben dem Brustbein…
»Genau«, nickte John Kaun.»Schauen Sie sich den einmal genauer an.«
Eisenhardt kniff die Augen zusammen. Der Beutel war rechteckig, etwas größer als eine flache Hand, und schien aus einer Art Sackleinen gemacht worden zu sein, das ausgedörrt und brüchig wirkte. Darunter schimmerte etwas Helles durch.
Kaun stand über ihm, die Arme erwartungsvoll vor der Brust verschränkt. Er schien es zu genießen, ihm dabei zuzusehen, wie er im Dunkeln tappte.»Öffnen Sie den Beutel«, forderte er.
»Öffnen?«vergewisserte sich Eisenhardt.
»Ja. Er ist an der rechten Seite offen.«
Anschauen war eine Sache, aber anfassen… In Museen hatte er sich darauf trimmen lassen, niemals etwas anzufassen, schon gar nicht, wenn man wußte, daß es Tausende von Jahren alt oder besonders empfindlich war oder beides. Eisenhardt streckte die Hand aus, zuckte fast zusammen, als er mit den auf mirakulöse Weise übersensibel gewordenen Fingerspitzen das Material des Beutels berührte, holzige, kratzige Fasern, die unter seiner Berührung nachgaben, indem sie zu Staub zerbröselten. Aber der Beutel war tatsächlich an der rechten Seite aufgetrennt worden, und so behutsam wie möglich hob er den Stoff hoch.
Darunter fand er einen weiteren Beutel aus einem seltsam glatten, milchigen Material, das aussah wie Perlmutt und sich anfühlte wie Plastik.
»Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?«fragte Kaun neugierig.
Eisenhardt schüttelte langsam den Kopf.»Ich glaube nicht. Oder sollte ich?«
Kaun lachte leise. Etwas in seiner Stimme vibrierte, als halte er eine innere Anspannung nicht mehr lange durch.»Ich glaube doch, daß Sie so etwas schon einmal gesehen haben. Übrigens ist auch dieser Beutel an der rechten Seite offen schauen Sie hinein!«
Warum bebten seine Hände jetzt? Was sollte das Ganze? Seine Finger glitten so vorsichtig darüber, als absolviere er eine Prüfung zum diplomierten Taschendieb. Es fühlte sich an wie Kunststoff. Im Licht der Deckenstrahler, die hell und heiß wie die Sonne herabbrannten, war da tatsächlich eine Öffnung, an der rechten Seite und an der oberen, die aussah wie ein Schnitt mit einem Messer. Eisenhardt faßte die freie Ecke und hob sie sacht an.
Er hörte den Professor einatmen. Er spürte den Medienzaren die Luft anhalten. Und er starrte auf das, was da zum Vorschein gekommen war. Er hätte nicht sagen können, was er eigentlich zu finden erwartet hatte, aber das jedenfalls nicht. Ganz und gar nicht. Was er sah, war etwas so Unerwartetes, daß sein Hirn Ewigkeiten zu brauchen schien, bis es die Signale, die seine Augen lieferten, korrekt interpretiert hatte.
Vereinfacht gesagt: er konnte nicht glauben, was er sah.
Es war die Bedienungsanleitung einer SONY Videokamera.
Stephen hob in einer entschuldigenden Geste die Hände.»Tut mir leid, aber das ist die Wahrheit. Ich bin dagesessen wie ein Idiot, habe darauf gestarrt und gewartet, daß es sich in Luft auflöst. Daß es sich als Fata Morgana herausstellt, als Hitzschlag, als was weiß ich. Aber das Ding löste sich nicht auf. Es war da, so wirklich wie diese Speisekarten.«
»Eine Bedienungsanleitung?«Judith starrte ihn an, ihr Gesicht ein einziger Ausdruck des Unglaubens.»Für eine Videokamera?!«
»Einen SONY MR-01 CamCorder. Und darunter stand» usVersion «. Ich meine, ich glaube nicht, daß das eine übliche Grabbeigabe im Jahre 50 nach Christus war.«
Der Kellner kam mit ihren drei Tellern. Sein Gesicht glänzte, so sehr schwitzte er, und jemand schien ihn zu jagen, jedenfalls keuchte er, als stünde er am Rande des Zusammenbruchs. Die drei taten ihre Köpfe auseinander, so daß er servieren konnte, was er wortlos tat, um dann wieder im Gewühl unterzutauchen.
»Zuerst dachte ich, jemand spielt mir einen Streich«, fuhr Stephen fort, während er nach Messer und Gabel griff. Er hatte schon wieder vergessen, wie das geheißen hatte, was da vor ihm lag, aber es sah gut aus und roch verführerisch.»Wirklich, das war sogar das erste, was ich dachte. Wenn du jetzt hochschaust, sagte ich mir, dann schauen sie schon über den Rand der Grube, feixen und kichern und warten nur, daß sie dein belemmertes Gesicht zu sehen kriegen. Aber dann schaute ich hoch — und da war niemand.«
Yehoshuah schüttelte fassungslos den Kopf, während er seinen Fisch abhäutete und das Fleisch von den Gräten trennte, so bedächtig, als arbeite er an einem archäologischen Fund.»Und dann?«
»Ich habe nachgedacht.
Weitere Kostenlose Bücher