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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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den Oberarm zu fassen. Stephen versuchte, ein Bein hochzuschwingen auf den Felssims, dessen Kante irgendwo im Dunkeln neben ihm sein mußte. Im Film sah das immer so leicht aus, aber er brauchte fünf Anläufe. Dann, endlich, gelang es ihm, mit Judiths Hilfe, sich in Sicherheit zu wälzen, gerade als das Ende der Kette herabfiel, mit einem letzten Platschen im Wasser versank und es still wurde.
    Er tastete nach dem Lederbeutel auf seinem Rücken. Der Inhalt fühlte sich noch an wie zuvor. Dann setzte er sich auf, tastend, wo der Felsvorsprung aufhörte. Seine Taschenlampe war ins Wasser gefallen und glomm jetzt wie ein kleines gelbes Gespensterauge in der Tiefe des Sees.
    »Hoffentlich gibt es diesen Geheimgang wirklich«, sagte Stephen, als sein Atem wieder normal ging. Bestimmt war seine Brust ein einziger blauer Fleck; er fühlte sich wie nach einer Prügelei.
    »Es gibt ihn«, meinte Judith. Sie hielt ihn immer noch fest, als fürchte sie, er könne ohne sie wieder abstürzen.»Wir sitzen direkt davor.«
    »Gut.«Er überlegte eine Weile, ob es hier noch irgend etwas zu tun gab. Wohl nicht. Ihre ganze Ausrüstung bestand aus einem Handy, das sich etwas angeknackst anfühlte, als er in die Tasche faßte, und den Kleidern, die sie am Leib trugen. Und draußen wartete die Wüste — wirklich toll.»Dann hoffen wir, daß er wirklich nach draußen führt.«
    Der Gang führte wirklich nach draußen. Er war so lang, daß sie das Gefühl nicht loswurden, am Ende vielleicht in Jordanien herauszukommen, aber vielleicht lag es auch daran, daß sie sich in völliger Dunkelheit vorwärtstasten mußten, Schritt um Schritt. Es war gruselig. Ab und zu blieben sie erschrocken stehen, und irgendwo raschelte etwas, zischelte etwas, gab etwas Laute von sich. Es gab Stellen, an denen faßten sie auf etwas Weiches, Feuchtes oder Krabbelndes, und dann zuckten sie mit einem Aufschrei zurück. Mehr als einmal stießen sie sich den Kopf an einem hervorstehenden Stein, stolperten über ein unerwartetes Loch im Boden oder schlugen mit dem Schienbein gegen ein hartes Hindernis. Aber der Gang führte immer weiter, schlug ab und zu merkwürdige Haken, und irgendwann begann die Luft wärmer zu werden und anders zu riechen.
    Langsam, ohne merklichen Übergang, kehrte auch wieder Licht in ihre Wahrnehmungen zurück. Zunächst war es nur eine Dämmerung, in der man nicht ausmachen konnte, woher das Licht kam oder was es eigentlich war, das man sah.
    Aber man sah etwas. Dann schälten sich Schatten aus dein Diffusen, sie konnten ihre eigenen Hände wieder sehen, wie sie über zerschründeten Fels tasteten, und schließlich, nach einer letzten Kurve, war am Ende ein geradezu gleißend helles Loch zu sehen: der Ausgang.
    Direkt hinter der Öffnung, die beunruhigend klein aussah lag zusammengerollt eine lange, dünne Schlange. Stephen versuchte, nicht daran zu denken, an wie vielen ähnlich gefährlichen Tieren sie bis jetzt vorbeigetapst waren, ohne es zu ahnen. Er stampfte ein paar Mal heftig mit einem Fuß auf den Boden, so daß die Schlange aufmerksam wurde, den Kopf hob und ihnen mit argwöhnisch züngelndem Kopf entgegensah. Stephen fuchtelte mit den Armen, schleuderte ein paar Steinchen und etwas Sand nach ihr, bis sie es schließlich vorzog, das Weite zu suchen.
    Der Ausgang war eng wie ein Fuchsloch; Stephen mußte den Beutel mit der Kamera vorausschieben, um überhaupt hindurchzupassen. Draußen traf ihn die erbarmungslose Hitze wie ein Hammerschlag, er mußte sich neben dem Loch erst einmal hinsetzen, weil ihm regelrecht schwindlig wurde. Er half Judith, sich ihrerseits ins Freie zu winden, und dann saßen sie beide schnaufend da, sagten nichts, sahen sich nur um.
    Die stille Leere, die sich vor ihnen erstreckte, erschreckte ihn. Er brauchte eine Weile, um zu verstehen, warum: Bis sie das Kloster erreicht hatten, waren sie Straßen gefolgt, Wegen, Spuren zumindest. Es hatte eine Struktur gegeben. Jetzt aber waren da nur noch Steine, Geröll, dehnte sich grauschwarze, sandige Einförmigkeit weglos und ohne jede Markierung, soweit das Auge reichte.
    Sie fühlten es beide. Er konnte es in der Art spüren, wie Judith leise fragte:»Und jetzt? Wohin gehen wir?«
    Genau. Das war die Frage.
    Der irrsinnig helle Glutball der Sonne hing dicht über dem Horizont. Dort war also Westen. Das Mittelmeer lag in dieser Richtung. Ägypten und der Sinai lagen in dieser Richtung. Die Sonne würde demnächst untergehen, ihr Licht warf jetzt schon lange,

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