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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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umfaßte. Wahrscheinlich trug auch die Art, wie die Stoffbahnen umeinandergelegt, ineinander verschlungen und miteinander vernäht waren, höchst symbolische Bedeutung in sich Und er saß einfach hier und riß die Umhüllung Lage um Lage herunter.
    Unter dem Brokat kam etwas zum Vorschein, das wie Sackleinen aussah und das mit einer unangenehm riechenden, harzigen Masse verklebt war. Es war ohne Hilfsmittel schier überhaupt nicht zu entfernen. Stephen tastete herum und fand einen scharfkantigen Stein, mit dem er es schaffte das Zeug herunterzukratzen.
    »Ziemlich mühsam, was?«fragte Judith.
    »Allerdings. Vielleicht haben sie es deshalb nur alle hundert Jahre aufgemacht.«
    Sie betrachtete das Bündel, das in Stephens Händen immer kleiner wurde.»Und da soll jetzt noch eine Videokamera drin sein?«
    »Kaum zu glauben, was?«erwiderte Stephen. Das fragte er sich schon seit ein paar Minuten. Eigentlich hätte das Gerät längst zum Vorschein kommen müssen, und mittlerweile hätten sich schon ganz andere Umrisse abzeichnen müssen, wenn er an das Bild von der MR-01 dachte, das er im Internet gesehen hatte.
    Allmählich bekam er klebrige Finger. Und er mußte aufpassen, nicht in Hektik zu verfallen und womöglich etwas dabei zu beschädigen. Er rieb die Finger der einen Hand am Felsen wieder sauber, während er das seltsame Heiligtum in der anderen Hand hielt. Ganz ruhig. Sie hatten jetzt alle Zeit der Welt.
    Zeit. Alles drehte sich um diesen geheimnisvollen Begriff. Die Kamera hatte zweitausend Jahre an versteckten Plätzen überdauert, aber eigentlich war sie überhaupt noch nicht hergestellt worden. Was würde geschehen, wenn sie mit dieser Kamera an die Öffentlichkeit traten, einem Gerät, das randvoll war mit einer Technik, die gerade erst in einem japanischen Labor entwickelt wurde?
    Zeit. Alles war durcheinander.
    Was, wenn das überhaupt nicht die Kamera war? Er versuchte, den Gedanken beiseitezuschieben.
    Endlich hatte er es geschafft, ein Loch in das grobe Gewebe zu bohren. Das ließ sich jetzt erweitern. Er zerrte daran, riß Fetzen heraus, benahm sich absolut unarchäologisch. Schließlich ließ sich die Hülle, zur Hälfte aufgeschlitzt, abnehmen. Stephen nahm sich die Zeit, alles, was an abgetrennten, klebrigen Stoffteilchen noch zu finden war, aufzusammeln und hineinzulegen.
    Was er nun in der Hand hielt, war ein Stoffbeutel, der sich weich wie ein Kopfkissen anfühlte und im Mondlicht hellgrau wirkte. An einer Seite gab es einen Verschlußknoten. Stephen fragte sich, ob die Art und Weise, wie die Kamera — wenn sie es denn war — verpackt und geschützt war, auf den Zeitreisenden selber zurückging oder ob sich die Gründer des Mönchsordens das ausgedacht hatten. Irgendwie mußte er die Kamera ja ursprünglich auch verpackt haben, ehe er sie dem Versteck anvertraute, in dem sie die Jahrtausende überstehen sollte.
    Er löste den Knoten. Im Innern des Beutels kam zunächst einmal eine seltsam riechende, watteartige Substanz zum Vorschein, so etwas wie Baumwolle, nur daß es etwas anderes sein mußte. Dieses weiche Material war um einen harten Gegenstand herumgestopft, der gut abgepolstert in der Mitte des Beutels steckte. Stephen tastete durch die Watte hindurch und fühlte — Plastik.
    »Bingo«, murmelte er.
    Sie sah anders aus als auf den Bildern, die er gesehen hatte, warum auch immer. Aber es war eine Kamera. Bis auf ein paar Schrammen glänzte die Plastikhülle wie neu, und auf der Seite war in schwarzen Buchstaben der Firmenname aufgedruckt: SONY. Und darunter stand, in kleineren, breitgezogenen Lettern MR-01.
    Er hatte sie. Er hielt sie in Händen, und es war genau so wie er es sich die ganze Zeit vorgestellt, wie er es die ganze Zeit über gefühlt hatte.
    Zeit. Schon wieder Zeit.
    Wilder Triumph erfüllte ihn.
    Er sah hoch, in Judiths Augen. Ein geheimnisvoller Schimmer lag darin, oder bildete er sich das nur ein?
    »Das ist sie«, sagte er, flüsterte es beinahe beschwörend»Die Kamera des Zeitreisenden. Die Videoaufnahme von Jesus Christus.«
    Sie berührte das Gerät behutsam mit den Fingerspitzen.»Ich kann es noch gar nicht glauben…«
    Es war auch unglaublich. Es war, als hielte man den Heiligen Gral in Händen.
    Alle sichtbaren Metallteile der Kamera waren empfindlich korrodiert, wenn man genauer hinsah. Das Objektiv ließ sich nicht mehr drehen, und von den Knöpfen blätterte die aufgedruckte Farbe ab, wenn man sie berührte. Er drehte das Gehäuse herum. Auch die Klappe,

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