Das Jesus Video
Magen verkrampfte.
»Das ist also Ihre archäologische Sensation«, meinte er.»Das Skelett eines Zeitreisenden.«
Kaun hielt inne.
»Nein«, sagte er, in einem Tonfall, als werde ihm jetzt erst klar, daß Eisenhardt das Wichtigste noch gar nicht verstanden hatte.»Das ist noch nicht die Sensation.«
»Sondern?«
»Überlegen Sie doch«, forderte der Mann im dunkelblauen Anzug ihn auf.»Ein Zeitreisender. Mit einer Videokamera.«
Eisenhardt starrte ihn an. Er begriff.
»Oh, mein Gott«, entfuhr es ihm.
Kaun lächelte wölfisch.»Ja… was kann der wohl gewollt haben vor zweitausend Jahren?«
Sie suchten den Weg zurück zu Yehoshuahs Wagen, und unwillkürlich gingen sie schnell, als sei jemand hinter ihnen her.
»Vergeßt alles, was wir über einen Mord gesagt haben«, sagte Stephen.»Das war kein Mord.«
»Sondern?«
»Der Tote ist tatsächlich vor zweitausend Jahren gestorben, beigesetzt worden, und wir haben ihn wieder ausgegraben.«
»Und der Beutel? Mit der Bedienungsanleitung?«
»Auch.«
Was war das für eine Stadt, in der es um halb zwei Uhr früh Straßen gab, die von Autos verstopft waren? Stephen blieb stehen, starrte auf das Chaos und drehte sich dann zu seinen Begleitern um.»Meine Theorie klingt vollkommen wahnsinnig, aber sie erklärt alles. Paßt auf: In nächster Zukunft wird jemand entdecken, wie man Zeitreisen bewerkstelligen kann. Frühestens in drei Jahren, vielleicht etwas später, aber jedenfalls zu einer Zeit, zu der dieser SONY MR-01 der beste CamCorder sein wird, den man für Geld kaufen kann. Jemand kauft den nämlich und reist damit zweitausend Jahre in die Vergangenheit. Aus irgendeinem Grund gelingt es ihm aber nicht mehr, zurück in seine Zeit zu kommen. Also muß er dort bleiben, unter den Menschen damals leben, bis er eines Tages stirbt. Er wird beigesetzt, und jemand legt ihm den Beutel mit der in Folie eingeschweißten Bedienungsanleitung ins Grab, ohne zu wissen, um was es sich dabei eigentlich handelt. Und wir haben ihn wieder ausgegraben -ein paar Jahre, bevor er seine Reise antreten wird!«
Er sah in zwei Gesichter, deren Unterkiefer langsam abwärts sanken.
»Das hieße ja«, meinte Judith schließlich,»daß derjenige, dessen Skelett dort liegt, noch irgendwo lebt?«»Genau.«
Yehoshuah wirkte ausgesprochen verdattert.»Dann müssen wir ihn finden! Ihn warnen!«
»Und dann?«
»Damit er die Reise nicht antritt.«
»Dann finden wir ihn aber nicht«, hielt seine Schwester ihm vor.»Und wenn wir ihn nicht finden, kommen wir überhaupt nicht auf die Idee, ihn zu warnen. Und da wir ihn nicht warnen, tritt er die Reise doch an. Also finden wir ihn doch.«Sie lachte glockenhell vor Begeisterung.»Vielleicht bin ich doch nicht so altmodisch!«
»Das ist wirklich eine wahnsinnige Theorie!«wandte sich Yehoshuah klagend an Stephen.»Mir wird ganz dumm im Kopf, wenn ich anfange, darüber nachzudenken.«
Sie setzten sich wieder in Bewegung. Aus einer Reihe von Klapptüren strömten plötzlich Leute ins Freie, und erst nach einer Weile begriff Stephen, daß da eine Kinovorstellung zu Ende gegangen sein mußte. Sie drängelten sich zwischen den hupenden, stinkenden Autos hindurch auf die andere Straßenseite und bogen auf Yehoshuahs Geheiß in eine ruhigere, düstere Querstraße ab.
»Es geht nicht darum, den Mann zu warnen«, meinte Stephen.»Ich könnte mir vorstellen, daß er sogar wußte, daß er nicht zurückkehren würde. Vielleicht funktioniert die Zeitreise nur in eine Richtung, und vielleicht hat er das in Kauf genommen.«
»Aber wer würde so etwas tun?«fragte Yehoshuah.
»Na, hört mal! Für dieses Motiv?«
»Welches Motiv?«
Er blieb stehen und sah sie fassungslos an.»Welches Motiv? Ich kann zweitausend Jahre in die Vergangenheit reisen. Ich weiß, ich werde nicht zurückkehren, aber ich kann die beste Videokamera mitnehmen, die es gibt. Was werde ich wohl filmen?«
Immer noch zwei Mienen völliger Verständnislosigkeit. Bis es Stephen schließlich dämmerte.
»Verdammt noch mal«, murmelte er.»Klar. Ihr seid Juden. Logisch…«
Er atmete tief durch.»Also, nochmal. Denkt dran, der Mann, der in die Vergangenheit reist, nimmt die usVersion der Bedienungsanleitung mit. Nicht die japanische, nicht die hebräische. Wahrscheinlich wird er also Amerikaner sein.
Und für einen Amerikaner, der es auf sich nimmt, zweitausend Jahre in die Vergangenheit zu reisen und nicht zurückzukehren, kann es in der ganzen damaligen Welt nur ein interessantes Motiv
Weitere Kostenlose Bücher