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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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hatte seinen Rundgang durch das Lager beendet und stand nun dem Wohnwagen gegenüber, den sein Chef bewohnte. Aus den Fenstern des Besprechungszimmers schimmerte ein wenig Licht, aber es war nichts zu hören. Die Wachposten drüben an Areal 14 hatten gerade ihre Schicht gewechselt; wahrscheinlich würde dies die letzte Nacht sein, in der die Fundstätte bewacht werden mußte. Alles war ruhig.
    Beinahe unangemessen ruhig, wenn man bedachte, worauf sie hier gestoßen waren.
    Er wandte den Kopf ruhig nach allen Seiten, zog langsam Luft durch die geblähten Nasenflügel ein. Sie roch nach nichts. Das war auch nur ein Tick von ihm, eine Angewohnheit, wenn ihn noch irgend etwas beschäftigte. Wenn ihm sein Instinkt sagte, daß etwas nicht in Ordnung war.
    Er ließ die Ereignisse des Tages vor seinem inneren Auge vorbeirollen, durchdachte noch einmal, was er gehört und gesehen und was man ihm gesagt hatte, und spürte genau hin, wo etwas hakte, wo es eine kleine, leise Stimme gab, die»Hey? Was ist das?«rief.
    Ja. Da gab es etwas.
    Mit einer katzenhaft geschmeidigen, abrupten Bewegung wandte er sich um und ging hinüber zu dem Wohnwagen, der die Organisationszentrale ihrer gesamten Unternehmung darstellte. Hier wurde rund um die Uhr gearbeitet, und die Tür war stets verschlossen. Ryan besaß natürlich einen Schlüssel, und in seiner Hand klirrten Schlüsselbunde nie.
    So komfortabel, wie die übrigen Wohnwagen ausgestattet waren, so spartanisch und zweckorientiert eingerichtet war dieser. Es gab nur Tische und Stühle, Aktenschränke, Computer, Einrichtungen für Videokonferenzen, Satellitentelefone, überhaupt jede Menge Telefone. Ryan nickte einem Mann zu, der an einem Pult mit Fernsehmonitoren saß, ein Sprechfunkgerät und eine Kladde vor sich, auf der er ab und zu Eintragungen machte. Weiter hinten saß eine Frau an einem Bildschirm, verfolgte Börsenkurse und sprach ab und zu leise in ein Mikrophon, das sie an einem Bügel vor dem Mund trug. Sie war völlig konzentriert und ignorierte Ryan; wahrscheinlich hatte sie sein Hereinkommen nicht einmal bemerkt.
    Ryan zog einen Ordner aus einem Regal und setzte sich damit an einen Tisch, auf dem ein Telefon stand. Es war grau, was nach ihrer Farbcodierung hieß, daß es mit dem Telefonnetz des Landes verbunden war, in dem sie sich aufhielten. Er schlug den Ordner auf, blätterte die Liste der freiwilligen Grabungshelfer durch und fuhr mit dem Zeigefinger die Spalte mit den Namen abwärts, bis er auf den Namen Judith Menez stieß. Dann glitt der Finger seitwärts und blieb auf einer Telefonnummer stehen.
    Er zog das Telefon heran und wählte die Nummer. Es klingelte lange, bis sich jemand meldete. Die Stimme einer älteren Frau, leise und genuschelt, und er verstand nicht, was sie eigentlich sagte.
    »Frau Menez?«vergewisserte er sich.
    »Ken«, sagte sie. Ryan beherrschte kein Hebräisch, aber das hieß ja, soviel hatte er schon mitbekommen.
    »Sprechen Sie Englisch?«fragte er betont langsam und deutlich.
    Eine kurze Pause.»Ja«, kam dann.»Ein wenig.«
    Das klang nach sehr wenig.»Kann ich Ihre Tochter Judith sprechen?«fragte Ryan.
    Wieder mußte sie überlegen.»Nein, leider. Sie ist… nicht da.«
    »Wissen Sie, wo sie ist?«
    »Sie arbeitet. Bei einer… Ausgrabung.«Sie hatte wirklich Mühe, die richtigen Worte zu finden.
    »Wollte sie heute abend nicht zu Besuch kommen?«
    Eine lange Pause. Dann:»Entschuldigung…?«
    Ryan holte tief Luft. Sie hatte ihn nicht verstanden.»Heute abend«, wiederholte er noch einmal, besonders langsam,»wollte Judith Sie besuchen. Hat man mir gesagt.«
    »Judith? Nein. Sie ist nicht hier. Sie arbeitet.«
    »Sie kommt heute nicht?«
    »Nein.«
    Na gut. Das reichte eigentlich schon. Judith Menez hatte gesagt, sie und Stephen Foxx seien bei ihrer Mutter eingeladen, aber die wußte ganz offensichtlich nichts davon.
    Unerwartet kam Leben in den Professor aus Kanada, der bis zu diesem Zeitpunkt schlaff und geistesabwesend in seinem Sessel gehangen und immer tiefer in sein Glas geschaut hatte. John Kaun hatte mit entsagungsvoller Miene fleißig nachgeschenkt, wann immer Goutiere das leere Glas emporgehalten hatte. Doch plötzlich schoß dessen freie Hand nach vorn, packte einen Bildband, der auf Kauns Schreibtisch lag, und reckte ihn in die Höhe, während er sich umständlich in eine einigermaßen aufrechte Haltung rappelte. Das Titelbild zeigte den Tempel, wie er sich vom Ölberg aus darbot, mit der goldenen Kuppel des Felsendoms in

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