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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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beschrifteten Etiketten versehen. Auf einem Gestell neben einem der Waschbecken waren Waschwannen zum Trocknen aufgestellt, und in kleinen Schalen lagen Pinzetten in allen Größen und Arten, verschiedenste Skalpelle, kleine und große Pinsel, Nadeln, kleine Metallquader und etliche Werkzeuge, die Stephen noch nie gesehen hatte.
    »Also«, meinte Yehoshuah, und seinem Gesichtsausdruck nach schien er nicht so recht zu wissen, ob er sich fürchten oder begeistert sein sollte,»da sind wir.«
    »Ja«, nickte Stephen und stellte die Tasche auf einem freien Platz ab.»Sieht ganz so aus.«
    George Martinez fand die Grabeskirche mit ihrer mächtigen Kuppel, und er fand sie verschlossen. Wie er es nicht anders erwartet hatte. Die Stirn gegen das kühle Metall des Portals gelehnt, stand er eine ganze Weile da und versuchte, sein Glück zu begreifen. Er war hier! Er hatte den Ort erreicht, an dem der Heiland zu Grabe gebettet worden war, um triumphal daraus wieder aufzuerstehen und so den Sieg des Lichts über die Mächte des Todes zu manifestieren. Vor zweitausend Jahren war das gewesen, und nun war er, George Martinez aus Bozeman, Montana, hier. Und während er so still dastand und versuchte, diese Ungeheuerlichkeit zu fassen, kam es ihm so vor, als sei sein ganzes Leben nur Vorbereitung gewesen für diesen Moment, als habe er alle seine Wege und Umwege nur deswegen gehen müssen, um schließlich hierher zu gelangen. Er hätte nicht sagen können, wie lange er so gestanden hatte, ob eine halbe Stunde, eine ganze Stunde oder nur zehn Minuten. Zeit spielte keine Rolle mehr. Als er sich schließlich wieder aufrichtete, fühlte er sich ganz verwandelt, von einem tiefen Frieden und Einverstandensein erfüllt und voller Dankbarkeit. Auch die Welt ringsum schien verwandelt worden zu sein, schien zu leuchten und zu strahlen, die Farben schienen intensiver geworden zu sein, die Dunkelheit dunkler und das Licht heller. Alles war so, wie es sein sollte. Er war angekommen.
    Natürlich verlief er sich dann. Andererseits konnte man nicht wirklich sagen, daß er sich verlief, denn er hatte eigentlich kein Ziel. Er wanderte durch die schmalen, hohen Gassen der Altstadt, sah hinauf zu vergitterten Fenstern über brökkelnden Simsen, ließ sich von muffigen, tunnelartigen Gängen anlocken, in denen trübe Lampen altersschwach vor sich hinfunzelten und an deren vor Jahrhunderten gemauerten Wänden Stromleitungen auf wildeste Weise verlegt waren. Hier und da begegneten ihm Menschen: Frauen, die züchtige Kopftücher trugen. Araber im weißen Burnus, die Kaffijeh auf dem Kopf. Sie ignorierten ihn, warfen ihm höchstens einen gleichmütigen Blick zu. Alle sahen sie schön aus. Er kam an eisernen Rolläden vorbei, an verschlossenen Türen und an Männern, die in Tunnelbögen auf Steinbänken saßen und schweigend rauchten. Es herrschte Frieden.
    Dann entdeckte er ein gußeisernes kleines Schild, das dunkel und verwittert an eine Wand genagelt worden war und das einfach nur in großen Buchstaben die Inschrift VII ST. zeigte. Darunter war eine weitere Metalltafel befestigt, und George mußte sein Feuerzeug anzünden, um die Inschrift darauf entziffern zu können.
    Dies, erklärte der englischsprachige Text, war die siebte Station des Leidensweges Christi. Der Ort, an dem Jesus zum zweiten Mal unter der Last des Kreuzes gestürzt war, das man ihn eigenhändig zum Berg Golgatha hatte schleppen lassen.
    George musterte unwillkürlich den Boden. Festgefügte steinerne Platten, die die Schleifspuren von Jahrhunderten aufwiesen.
    Dann, mit ein paar Sekunden Verspätung, als habe eine Art geistige Abrißbirne erst in die entgegengesetzte Richtung ausholen müssen, traf es ihn mit aller Wucht. Hier? In dieser schmalen Gasse? Wenn er sich in die Mitte stellte und die Arme ausbreitete, konnte er die beiden Mauern rechts und links berühren. Zu Hause hatten sie Abwasserkanäle, die breiter waren.
    Hier war es gewesen. Rechts und links hatten sie gestanden, hatten ihn verhöhnt mit seiner Dornenkrone auf dem Kopf, wie er unter der Last des riesigen Kreuzes wankte, geschwächt von den Qualen der Folterung, des Verhörs, der Mißhandlungen. Sie hatten ihn angespuckt und verspottet auf dem Weg zu seiner Hinrichtung.
    Durch diese Gasse war er gegangen.
    Diesen Boden hatten die Füße des Heilands berührt.
    George sank in die Knie, berührte das Pflaster.
    Sein Schweiß und sein Blut hatten diesen Weg genetzt. Es war, als könne man das immer noch spüren.
    Ryan

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