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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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geschah. Außerdem hatte ich seine Schritte gehört. Der Rabe war da. Stand über uns, am Anfang der Treppe.
    Ich drehte mich langsam zu der schwarzen Gestalt um. Eine Straßenlaterne des nächtlichen Paris zauberte einen Lichtkreis um seinen Kopf, und sein Gesicht war nicht zu erkennen. Aber ich hätte schwören können, dass er grinste. Er steckte die Hand in die Innentasche seines Mantels und setzte den Fuß auf die erste Stufe.
    Ich ging ein paar Stufen weiter nach unten und breitete instinktiv die Arme aus. Ich weiß nicht, ob es eine Geste der Kapitulation war oder der lächerliche Versuch, Sophie hinter mir zu schützen. Ich schluckte schwer. Niemand konnte uns sehen. Am liebsten hätte ich geschrien, aber dazu fehlte mir die Kraft. Ich war zu erschöpft und verängstigt zugleich. Dieses Mal würde er uns nicht verfehlen.
    Langsam zog er die Hand aus der Tasche und kam noch einen Schritt auf uns zu. Seine breiten Schultern schienen noch wuchtiger zu werden, dann blitzte das schwarze Metall seines Revolvers vor dem Kragen seines langen Mantels auf. Ich dachte an die kugelsicheren Westen, die wir trugen. Sie würden uns nie und nimmer vor diesem Mörder schützen können. Er würde erst aufgeben, wenn wir tot wären. Dieses Mal würde er ohne zu zögern auf unsere Köpfe zielen.
    Plötzlich tauchte ein Schatten hinter ihm auf. Wir hörten einen kurzen heftigen Schlag, dann brach er auf der Treppe zusammen. Sein Körper fiel uns entgegen, und ich sah, wie er die Stufen hinunterpolterte und schließlich vor Sophies Füßen landete. Sie trat einen Schritt zurück und stieß einen Schrei aus. Ich blickte hoch und erkannte Badji.
    Eine Sekunde lang verharrte er reglos. Dann lief er schnell zu uns die Treppe hinunter.
    »Tut mir Leid, dass ich so spät komme«, stieß er hervor, »ich hatte ein paar Probleme mit seinem Kumpel.«
    Er griff nach meiner Schulter, als wolle er sich davon überzeugen, dass ich mich noch aufrecht hielt, dann reichte er Sophie, die stocksteif vor ihm stand, die Hand.
    »Los, kommen Sie, es gibt nichts mehr zu befürchten.«
    »Ich wusste genau, dass Sie es ihnen schließlich zeigen würden«, flüsterte ich.
    Sophie seufzte tief, stieg über den leblosen Körper des Raben und lief hinter Badji die Stufen hinauf.
    »Lassen wir ihn hier liegen?«, fragte ich verblüfft.
    »Wollen Sie ihn ins Fundbüro bringen?«, spottete der Bodyguard. »Los, beeilen wir uns. Ich habe ihn betäubt, er wird bald wieder zu sich kommen.«
    Ich wollte ihnen gerade folgen, zögerte aber kurz. Der Rabe rührte sich nicht mehr. Vielleicht war er tot. Ich beugte mich über ihn und griff in die Manteltasche nach seiner Brieftasche. Dann folgte ich den anderen.
    Der Zug fuhr um 19 Uhr 34 ab, und um ein Haar hätten wir ihn verpasst.
    Wieder einmal hatte Chevaliers Freund mir das Leben gerettet. Während der ersten halben Stunde der Zugfahrt war ich unfähig, etwas zu sagen. Ich stand unter Schock, der Tag war wirklich zu verrückt gewesen. Auch Sophie war schweigsam. Wir sahen uns nur ungläubig an, wie Gefangene, die in einem Boot saßen. Jeder erriet die Gedanken des anderen. Wir teilten die gleiche Angst, die gleiche Erschöpfung, und wir waren nervös. Und doch mussten wir durchhalten und uns beherrschen.
    Dann, während sich über Frankreich der schwarze Schleier der Nacht legte, eröffnete ich das Gespräch.
    »Stéphane, danke.«
    Ich lächelte ihn an. Er nickte, wirkte aber sehr ernst und besorgt. Sicherlich fragte er sich, welche Überraschung uns als Nächstes erwartete. Oder vielleicht fragte er sich, ob wir in diesem Zug in Sicherheit waren.
    »Was ist mit der Brieftasche?«, fragte Sophie und blickte zu mir herüber.
    Ich nickte. Endlich hatten wir einen Anhaltspunkt, eine Möglichkeit, die Raben zu identifizieren. Ich holte sie aus meiner Tasche, warf einen Blick auf die Nachbarsitze, um mich zu vergewissern, dass wir nicht die Aufmerksamkeit der anderen Reisenden erregt hatten, dann klappte ich sie auf meinen Knien auf.
    Ich fand einen italienischen Personalausweis. Paolo Granata. Geboren 1965. Ich schob ihn Badji auf dem kleinen Tisch zu, der zwischen uns aufgeklappt war.
    »Glauben Sie, dass der Ausweis echt ist?«
    Er warf einen Blick darauf, dann zuckte er mit den Schultern. »Ich denke schon.«
    Ansonsten enthielt die Brieftasche nicht mehr viel. Eine Kreditkarte auf den gleichen Namen wie der Personalausweis, ein paar Quittungen, einen Stadtplan von Paris, Metrotickets. Bis mir etwas ins Auge

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