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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Federung so unbequem, dass man den Eindruck gewinnen konnte, mit einem gewissen Tempo durch die Stadt zu fahren, und ich fragte mich, wie wohl die Bremsen ein so wuchtiges Auto anhalten könnten, das wie eine Kanonenkugel in die Regent Street einbog. »London ist wirklich eine wunderbare Stadt«, wandte ich mich flüsternd an Sophie.
    »Schön, um ein Wochenende hier zu verbringen, aber nicht ein ganzes Jahr.«
    »Das sagt man immer über Städte, in denen man nicht gelebt hat«, erwiderte ich spöttisch.
    »Weil Sie schon in London gelebt haben?«
    »Nein, aber als ich Paris verließ, begriff ich, dass man auch anderswo leben kann.«
    »Ich habe nie behauptet, dass man nicht anderswo leben könnte. Nur eben nicht in London.«
    »Warum?«
    »Zu teuer, zu englisch, zu künstlich.«
    Ich begann zu lachen.
    »Das ist echt stark, dass Sie der Hauptstadt Englands vorwerfen, zu englisch zu sein. Wo würden Sie gern leben, abgesehen von Paris?«
    »Wissen Sie, ich bin ja eher eine Nomadin. Ich reise gern. Durchquere die Länder. Die Wüsten. Ich liebe Nordafrika, den Mittleren Osten. Die Gebäude sind dort viel menschenwürdiger als in unseren großen, westlichen Städten. Hier hat man Häuser konstruiert, die nicht mehr zu den Menschen passen.«
    Ich zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Es ist seltsam. Ich habe das Gefühl, in diesen großen westlichen Städten zu Hause zu sein. Das ist gar nicht mal so übel. Sehen Sie nur.«
    Das Taxi überquerte gerade den Oxford Circus.
    »Sehen Sie nur die vielen Leute. Tag und Nacht. Immer wimmelt es hier von Menschen. Tagsüber gehen sie in die großen Kaufhäuser, zu Selfridges oder zu Harrod's. Abends bummeln sie, finden sich, treffen sich oder ignorieren sich. Aber hier sind immer Menschen. Und das beruhigt mich. Ich mag das.«
    Sie betrachtete mich lächelnd.
    »Ja, ich weiß«, sagte sie und legte mir eine Hand auf das Knie.
    Und das war keineswegs herablassend gemeint. Nein, ihr Blick verriet mir, dass sie es ehrlich meinte. Sie wusste Bescheid. Sie wusste, dass ich Menschen brauchte, dass ich Menschen um mich herum spüren musste. Um mich nicht einsam zu fühlen.
    Einige Minuten später setzte uns das Taxi vor dem Haus ihrer Freundin ab.
    *
    Wenn ich ein paar Tage gebraucht hatte, um Sophies sexuelle Vorliebe zu erkennen, so ließ die ihrer Freundin erst gar keinen Zweifel aufkommen. Jacqueline Delahayes Wohnung war vollgestopft mit Büchern über die gleichgeschlechtliche Liebe, mit sehr suggestiven Bildern, und eine prachtvolle Fahne in den Farben des Regenbogens hing am Eingang von der Decke herab.
    Auf jeden Fall war Sophies Freundin keine normale Frau. Sie war völlig überdreht, geziert und schlampig zugleich, zynisch und zärtlich, einfach eine außergewöhnliche Person. Darüber hinaus war sie sehr sympathisch, lebendig, schlagfertig und offensichtlich hoch gebildet. Ich konnte mir zwar schlecht vorstellen, dass sie und Sophie einmal ein Liebespaar gewesen waren, aber ich begriff, dass mich das eigentlich nicht störte. Jacqueline war eine tolle Frau, und basta.
    Sie muss jedoch gespürt haben, dass mir mein Wissen um Umstände etwas Unbehagen bereitete, und sie hatte sicherlich auch gemerkt, dass ich für Sophie viel mehr als Freundschaft empfand, denn sie betrachtete mich mit einem Blick, der voller Spott und vielleicht sogar Mitleid war.
    Jacqueline war viel älter als Sophie, aber in ihren Augen schimmerte eine unvergängliche Jugend. Sie trug eine imposante Hornbrille, ein braunes, weites Kleid aus schwerer Wolle und darüber ein langes zerknittertes Blumenhemd. Um den Hals hatte sie ein weißes Tuch geschlungen, das ihr bis auf den Rücken fiel. Sie sah aus wie eine Geschichtsprofessorin aus den siebziger Jahren und passte hervorragend nach London.
    »Nun«, sagte sie, nachdem sie uns ein Glas Brandy serviert hatte, »um was geht es hier eigentlich? Was führt ein solches Kampftrio nach London?«
    »Du musst uns über Mona Lisa und Melancolia aufklären«, erwiderte Sophie lächelnd.
    Jacqueline hatte mitten in London eine Dreizimmerwohnung in einem alten Haus, in dem keine Wand gerade stand. Ich glaube, ich habe noch nie eine Wohnung in einem so heillosen Durcheinander gesehen. Im Vergleich dazu war sogar der Keller meines Vaters in Gordes ordentlich aufgeräumt gewesen. Die Möbel waren kaum zu erkennen, da sie mit so vielen verschiedenen Dingen überhäuft waren, die an Sedimentschichten erinnerten. Ein kleiner Fernseher drohte jeden Augenblick von einem

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