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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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sprang. Es war eine kleine Visitenkarte aus erstklassigem Papier. Kein Name, nur eine Adresse im Vatikan. Und darüber ein Symbol, das ich mühelos erkannte. Ein Kreuz auf einer Sonne.
    Ich zeigte Sophie die Karte, und sie verzog das Gesicht.
    »Das bestätigt nur, was wir bereits wissen.«
    Ja, das war nur eine Bestätigung. Eine Bestätigung dafür, dass wir wirklich in der Scheiße steckten.
    Wieder breitete sich Schweigen zwischen uns aus. Sophie schloss die Augen, und Badji sagte, er wolle sich im nächsten Wagen einen Kaffee holen. Er begann sich scheinbar zu entspannen.
    Ich lehnte den Kopf an die Fensterscheibe des Zuges. Die nächtliche Landschaft vor mir wurde eins mit dem Spiegelbild des Zugabteils auf der Scheibe. Ich betrachtete es wie in Trance und fühlte mich so kaputt und erschlagen, wie nach einem langen Tagesmarsch.
    Die Bilder der letzten vierundzwanzig Stunden überfluteten mich, vermischten sich und lösten sich wieder auf. Ich fühlte mich, als sei ich von einem reißenden Strudel erfasst worden, und versuchte, an nichts mehr zu denken. Dann döste ich ein.
    Um 21 Uhr 28 Ortszeit fuhr der Zug in den Waterloo-Bahnhof ein.
    Für einen Ausgewanderten wie mich schien es unglaublich, dass man in Paris in den Zug stieg und knapp drei Stunden später in London war. Aber ich war eben nicht mehr auf dem Laufenden.
    Sophies Freundin hatte uns angeboten, dass wir jederzeit zu ihr kommen könnten. Also nahmen wir gleich am Bahnhof ein Taxi.
    Ich hatte London seit vielen Jahren nicht mehr gesehen – mit meiner Mutter war ich ein paar Male hier gewesen –, und auf der Taxifahrt hatten wir die Gelegenheit, die Hauptstadt bei Nacht zu bewundern. Der Anblick war so großartig, dass ich die Missgeschicke dieses grauenhaften Tages fast vergessen hätte. Im Grunde war er auf dem surrealistischen Gemälde, auf dem wir nur drei kleine Farbkleckse zu sein schienen, der letzte Pinselstrich, den der Zufall dorthin getupft hatte.
    Als das große, schwarze Taxi aus dem Waterloo Bahnhof herausfuhr, verschwand der blaue Eurostar-Tunnel langsam aus unserer Sichtweite. Er wirkte wie eine lange Nabelschnur, die England und Frankreich miteinander verband. Wir näherten uns der Themse und sahen das große weiße Rad des London Eye, das sich langsam drehte und, wie eine riesige Wassermühle am Fluss, die Besucher in den Himmel hob. Die kleinen Glaskapseln, in denen die Fahrgäste begeisterte Schreie ausstießen, leuchteten wie weiße Neonröhren am lilafarbenen Himmel.
    Das Taxi fuhr über die Waterloo Bridge. Auch Badji und Sophie bewunderten unsere Umgebung wortlos. Ich wandte den Kopf nach rechts und erblickte in der Ferne flüchtig die weiße Kuppel der St. Paul's Kathedrale, die von einer stolzen Reihe korinthischer Säulen gestützt wurde. Dann ließ ich meine Augen über die Windungen der Themse gleiten. Der lange schwarze Fluss schlängelte sich zwischen den Häusern im sepiafarbenen Licht der Scheinwerfer und Straßenlaternen dahin.
    In der Ferne, wie eine Fata Morgana in der Wüste, erkannte man Canary Wharf, das neue Zentrum der Londoner Geschäftswelt, eine Ansammlung von Gebäuden aus Glas, das Paradies des Wertezuwachses, die Hölle für die Kleinanleger. Das Taxi fuhr über eine Erhöhung in der Mitte der Brücke. Für eine Sekunde schloss ich die Augen. Als ich sie wieder aufschlug, sah ich die City und Westminster, den Sitz der Könige. Das alte London, eine goldene Stadt.
    »Soll ich mich um ein Hotel kümmern, solange Sie mit Ihrer Freundin reden?«, schlug Badji vor.
    »Nein, nein, bemühen Sie sich nicht, Jacqueline wird bestimmt etwas für uns finden.«
    Das Taxi erreichte die andere Seite des Flusses, bog links in The Strand ein, eine der ältesten Straßen Londons, fuhr dann weiter bis zu den Riesenlöwen am Trafalgar Square. Ich lächelte und hatte den Eindruck, London im Traum neu zu entdecken, hatte das Gefühl, die Hand meiner Mutter zu spüren, an einem Frühlingsabend wie diesem, an einem Platz wie diesem. Es war wie eine Reise in die Vergangenheit oder das Herumstöbern in alten Postkarten. Die Tauben, die Löwen, die Nelson-Säulen, der große Brunnen und diese Scharen von Touristen mit hoch gezogenen Schultern, um sich gegen die abendliche Kälte zu wappnen. Das Taxi fuhr an den Neonlichtern und den großen Leuchtreklamen für Coca-Cola und Burger King, die sich über ganze Häuserfronten erstreckten, vorbei in Richtung Piccadilly Circus. Der Motorlärm des Wagens war so durchdringend und die

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