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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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sich in unseren Augen wider. Sie musste das Zögern in meinem Blick bemerkt haben, ich hatte gemerkt, dass sie überrascht war. Sie ließ sich für ihre Reaktion eine Sekunde zu viel Zeit. Das machte sie verdächtig. Sie wich etwas zurück, schenkte mir wieder ein Lächeln und griff nach dem Telefon. Ich entfernte mich einen Schritt und vergrub meine Hände in den Hosentaschen, um den Eindruck von Lässigkeit zu erwecken, aber die Spannung war zu spüren, fast zu greifen.
    Ich hörte sie ein paar italienische Worte ins Telefon flüstern. Leider war mein Italienisch zu mäßig, um sie zu verstehen. Sie lächelte mich immer noch an. Sie lächelte schlichtweg zu viel. Dann hörte ich Schritte von links und wandte den Kopf. Zwei Männer kamen die Treppe an der Seite des Aufzugs herunter. Wären die beiden Killer aus Gordes nicht am Fuß eines Baumes verbrannt, hätte ich geschworen, dass es dieselben Männer waren. Lange schwarze Mäntel, breite Schultern, kantige Gesichter. Verdammte Karikaturen. Verdammte Raben.
    Ich trat noch einen Schritt zurück. In diesem Augenblick schienen sie ihr Tempo zu beschleunigen. Ich blickte zur Empfangsdame. Sie lächelte nicht mehr, sondern blickte zur Treppe. Die beiden Wachhunde kamen auf mich zu. In letzter Sekunde entschied ich, dass es an der Zeit war, das Feld zu räumen. Mit einem Satz stürzte ich zu der großen Glastür, aber sie ging nicht auf. Die beiden Raben rannten hinter mir her. Ich versuchte, die beiden Türflügel auseinanderzuziehen. Unmöglich. Panik erfasste mich und ich warf mich mit der Schulter dagegen. Ein Flügel gab nach und krachte auf den Gehweg. Die Tür zersplitterte in tausend kleine Glasscherben, die nach allen Seiten flogen.
    Ich trat auf die Straße. Dutzende demonstrierender Scientologen starrten mich mit offenen Mündern an. Diese komischen Käuze würden mir Schutz bieten müssen. Ich rannte auf sie zu und drängte mich zwischen sie, als die beiden Wachhunde mich fast eingeholt hatten. Ohne mich umzusehen bahnte ich mir mit vorgestreckter Schulter einen Weg durch die Meute von Hubbard-Anhängern bis zur Rue de Lyon.
    Eilig überquerte ich die breite Straße, ohne auf den dichten Verkehr zu achten. Ein Bus hätte mich fast angefahren, bremste in letzter Sekunde und hupte wie wild. Als ich auf dem gegenüberliegenden Gehweg angelangt war, sah ich mich nach den beiden Wachhunden um. Der Vorteil bei diesen Kleiderschränken war, dass ihre Muskelberge sie am Laufen hinderten. Sie standen noch auf der anderen Seite und suchten nach mir.
    Ich duckte mich und eilte Richtung Gare de Lyon, schlich die schmutzigen Mauern entlang, schlängelte mich zwischen Kiosken und Trinkwasserbrunnen hindurch, bog in eine Straße ein, und als ich sicher war, aus ihrem Blickfeld verschwunden zu sein, begann ich zu rennen. Ich rannte einige Minuten lang, bis ich außer Atem die Arkaden der Avenue Daumesnil erreichte. Erschöpft blieb ich stehen und blickte zurück, um sicher zu sein, dass mir die Wachhunde nicht mehr auf den Fersen waren. Da ich weit und breit niemanden sah, beschloss ich, mich in ein Café zu flüchten.
    Ich betrat ein kleines Bistro auf dem Boulevard Diderot, und während ich von Zeit zu Zeit einen Blick nach draußen warf, kaufte ich mir erst einmal eine Telefonkarte für mein Handy. Schweißnass trank ich einen Kaffee an der Theke, misstrauisch beäugt von den Kellnern.
    Während ich versuchte, zwischen den freundlichen Gästen, den lärmenden Betrunkenen und den aufgeregten Spielern unsichtbar zu bleiben, trank ich meinen Espresso und überlegte, was meine kleine Expedition zu Acta Fidei eigentlich gebracht hatte. Ich hatte nichts erfahren. Nichts, außer, dass ich ihrem Sicherheitsdienst bekannt war und dass man offenbar beabsichtigte, mich zu erwischen. Sogar die Empfangsdame des Pariser Büros wusste über mich Bescheid! Doch Bescheid worüber eigentlich?
    Die Tatsache, dass die beiden Kleiderschränke, die mich verfolgt hatten, fast die gleichen Klamotten trugen wie die in Gordes, bedeutete nicht zwangsläufig, dass die vier zu derselben Organisation gehörten. Rausschmeißer haben überall auf der Welt die gleiche Fresse und die gleichen Jacken. Aber dennoch …
    Ich zahlte meinen Espresso und verließ beruhigt die Kneipe. Ohne auf etwas Derartiges gefasst zu sein, stand ich plötzlich den beiden finsteren Wachmännern von Acta Fidei Auge in Auge gegenüber. Offensichtlich hatten sie mich noch immer gesucht, schienen aber genauso überrascht zu

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