Das Jesusfragment
spottete Sophie.
»Glauben Sie, es war jemand von Acta Fidei?«
»Oder von Bilderberg oder von jemand anderem. Aber wenn es Leute von Acta Fidei sind, dann werden sie auch herausfinden, dass wir im Hotel Le Tourville waren! Vielleicht konnten sie sogar die Dateien lesen, die ich noch nicht kopiert hatte.«
»Haben Sie denn welche auf dem Rechner gelassen? Sphinx hatte Ihnen doch geraten, sie auf Diskette zu speichern.«
»Ich habe alles Wichtige runtergenommen, woran ich mich erinnern konnte. Aber Sphinx hat mir gesagt, ich hätte bestimmte Daten in meinen E-Mails noch nicht gelöscht, und vor allem ein paar aktuelle Dateien, von denen es Sicherungskopien gab. Und dazu gehört der Anfang der Übersetzung des Manuskripts von Dürer! Ich bin wirklich zu blöd!«
»Sie konnten es doch nicht wissen.«
»Sphinx hatte uns gewarnt! Ich bin eine Idiotin!«
»Das Wichtigste ist, dass wir es früh genug bemerkt haben, um aus dem Hotel zu verschwinden! Jetzt verstehe ich auch, warum Sie Ihre Nachricht verschlüsselt haben, was den Ort unseres Treffens angeht.«
»Na ja, es war bestimmt keine sehr intelligente Codierung, aber ich hatte keine Zeit zum Nachdenken. Auf jeden Fall schulden wir Sphinx einen großen Gefallen! Ich muss unbedingt Kontakt zu ihm aufnehmen. Kurz bevor ich gehen musste, hat er gesagt, dass er mit dem Logger, den er uns geschickt hatte, versuchen will, die Leute ausfindig zu machen, die unsere Daten gelesen haben.«
»Wie nehmen wir Kontakt zu ihm auf, wenn wir Ihren Rechner nicht benutzen können?«
»Von einem Internetcafé aus. Das ist am ungefährlichsten.« Mit einer Handbewegung zeigte ich ihr, dass ich einverstanden war.
»Auf jeden Fall wird uns das Internet, nach allem, was ich in der Bibliothek gefunden habe, weiterhin von großem Nutzen sein. Wir müssen uns unbedingt irgendwo einloggen«, erklärte ich.
»Haben Sie den Mikrofilm gefunden?«
Während Sophie den New Beetle zur Place de l'Etoile lenkte, erzählte ich ihr in allen Einzelheiten von meinem Besuch in der Bibliothek. Als ich sagte, dass die Religionsgemeinschaft, auf die sich der Text bezieht, Assayya hieß, machte Sophie große Augen.
»Das kann doch nicht wahr sein!«, rief sie.
»Was?«
»In unserem Manuskript wird behauptet, dass noch heutzutage ein Kloster der Assayya in der Wüste von Judäa existiert. Habe ich das richtig verstanden?«
»Ja. Warum? Wissen Sie, wer die Assayya sind?«, fragte ich neugierig.
»Ja. Assayya bedeutet auf Aramäisch Jene, die pflegen.«
»Na und?«
»Auf Griechisch heißt das Essaioi – Essener! Es sind die Essener, Damien!«
»Sind Sie sicher?«
»Hören Sie, ich weiß nicht, ob dieser Text die Wahrheit sagt, ich weiß nicht, ob es möglich ist, dass eine Gemeinschaft der Essener zweitausend Jahre lang bestehen konnte, während Historiker ihr Verschwinden auf das zweite Jahrhundert datieren. Das erscheint mir unmöglich, aber eines weiß ich genau: Assayya bedeutet Essener. Und wenn der Text keinen bodenlosen Unsinn zum Besten gibt, dürfte das bedeuten … Nein, das ist unmöglich. Es ist völlig unrealistisch. Das wäre eine Riesensensation! Wie hätten sie so lange unentdeckt existieren können? Wie hätten sie sich erneuert? Das ist Wahnsinn!«
»Wenn Sie es sagen. Auf jeden Fall ist es faszinierend! Ich möchte mir das näher ansehen.«
Sophie schwieg, bis wir in der Avenue Carnot angelangt waren. Ich sah, dass sie sich stark konzentrierte, die Wahrscheinlichkeit dieser Enthüllung überprüfte. Wir stolperten von einer Aufregung in die nächste.
Und das Schlimmste war, dass wir das Ende längst noch nicht erreicht hatten.
*
Wir stiegen im Hotel Splendid ab, wenige Schritte von der Place de l'Etoile entfernt, und dieses Mal nahmen wir zwei Einzelzimmer. Ohne den Laptop gab es keine echte Ausrede mehr für ein gemeinsames Zimmer.
Das Splendid, Ecke Rue de Tilsitt und Avenue Carnot, war ein Vier-Sterne-Hotel, luxuriöser, aber nicht so intim wie Le Tourville. Doch es gab einen Ausgleich für die verlorene Ruhe: Mein Zimmer im Stil Louis XV. hatte einen direkten Blick auf den Triumphbogen.
Nachdem wir unsere Sachen ausgepackt hatten, trafen wir uns in der Hotelbar wieder.
»Was wollen Sie trinken?«, fragte Sophie, als ich ihr gegenüber in einem der runden Sessel Platz nahm.
Ich zögerte kurz. Sophie seufzte und beugte sich zu mir: »Hören Sie, Damien, Sie machen wirklich zu viel Aufhebens um Ihre Alkoholgeschichten«, flüsterte sie und schaute mich eindringlich
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