Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
Vom Netzwerk:
Bäume auf eine Bank und stieß einen tiefen Seufzer aus. Ich konnte mich nicht an dieses neue Leben gewöhnen. An die ständige Flucht.
    Um mich herum suchten Tauben nach Brosamen, die ihnen bestimmt eine ältere Dame für gewöhnlich von dieser Bank aus zuwarf. Ein paar Sträucher, die Bronzestatue irgendeines Marschalls, grüne Drahtzäune um Stämme der Platanen: Ich war wieder im Paris meiner Kindheit. Dort, wo meine Mutter jeden Mittwoch Nachmittag mit mir spazieren gegangen war. Ich erinnerte mich an ihre Hand, die um meine geschlungen war. Wie sie mich festhielt, wenn ich vom Gehweg stolperte. An den Blumenmarkt, an das Marionettentheater im Jardin d'Acclimatation, an das Eis bei Berthillon. Dieses Paris hatte mir am meisten gefehlt.
    Aber es war nicht der Moment, um in Erinnerungen zu schwelgen. Ich durfte nicht zulassen, dass mich die Melancholie überkam. Nicht jetzt. Ich zog mein Handy aus der Tasche. Die Chipkarte, die ich am Tag zuvor gekauft hatte, war noch nicht darin installiert. Ich legte sie ein und prüfte, ob sie funktionierte.
    Das Logo meines Handy-Netzes erschien auf dem Display und die Empfangssignale blinkten nacheinander. Ich wählte die Nummer von Ärzte ohne Grenzen. Eine junge Frau antwortete. Ich hatte mich auf das Gespräch nicht vorbereitet und improvisierte.
    »Guten Tag, hier ist Laurent Chirol.«
    Das war der erstbeste Name, der mir einfiel.
    »Ich bin Journalist bei Canal Plus«, fügte ich hinzu.
    Reine Vorsichtsmaßnahme. Wenn ich schlimmstenfalls meine Quellen preisgeben musste, könnte Sophie mir beim Sender den Rücken freihalten.
    »Ich arbeite an einem Bericht über Christian Borella und würde gern mit jemandem bei Ihnen sprechen, der ihn kannte.«
    »Bleiben Sie am Apparat«, erwiderte die Telefonistin in neutralem Ton.
    Ich ballte meine Fäuste und hoffte, dass sie mich nicht aus der Leitung werfen würde. Als die Wartemusik verstummte, meldete sich eine männliche Stimme. Die Telefonistin hatte mich tatsächlich verbunden.
    »Monsieur Chirol?«
    Es war eine dunkle, selbstsichere, leicht hochmütige Stimme. »Ja«, erwiderte ich.
    »Guten Tag, ich heiße Alain Briard und arbeite in der Entsendungsabteilung. Ich kannte Christian ziemlich gut. Line sagte mir, dass Sie an einem Bericht über seinen Fall arbeiten.«
    »Genau.«
    »Sehr gut. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen wirklich helfen kann, aber ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse Ihrer Arbeit.«
    »Ich schicke Ihnen einen Mitschnitt«, log ich.
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Hat Christian mit Ihnen über Forschungen gesprochen, die nicht im Zusammenhang mit seiner Arbeit für Ärzte ohne Grenzen standen?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Hat er nie mit Ihnen über eine Leidenschaft gesprochen, die nichts mit dem humanitären Dienst zu tun hatte? Oder über eine … etwas ungewöhnliche Entdeckung?«
    »Nein«, erwiderte mein Gesprächspartner verblüfft. »Seine Leidenschaft war die Wüste von Judäa. Er verbrachte seine ganze Zeit dort, und ich glaube nicht, dass noch viel Raum für andere Dinge in seinem Leben blieb.«
    »Ja, aber hat er denn im Zusammenhang mit der Wüste von Judäa nie mit Ihnen über etwas gesprochen, das nichts mit Ärzten ohne Grenzen zu tun hatte?«
    »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen. Hatte er dort unten einen Schatz gefunden, oder so etwas?«
    »Nein, nein, keineswegs«, versicherte ich ihm.
    »Wissen Sie, er hatte keine Zeit, sich um etwas anderes zu kümmern, er hatte nicht einmal Zeit, sich um seine Tochter in Paris zu kümmern.«
    »Um seine Tochter?«
    »Ja, seine Tochter Claire. Wussten Sie denn nicht, dass er eine Tochter hatte?«
    »Hm, nein, ich stehe erst ganz am Anfang meiner Arbeit.«
    »Dann sollten Sie bei ihr anfangen! Sie weiß bestimmt mehr über ihn als ich.«
    »Haben Sie ihre Telefonnummer?«
    Er zögerte kurz.
    »Ich glaube, sie wohnte bei ihrem Vater. Aber ich darf Ihnen die Adresse nicht geben, sie gehörte zu seiner Privatsphäre.«
    »Ich verstehe.«
    Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen und durfte mich vor allem nicht verraten. Außerdem hatte ich bereits alle Informationen, die ich benötigte. Ich suchte nach der Adresse einer gewissen Claire Borella oder ihres Vaters Christian, wohnhaft in Paris. Dieses Mal hatte ich genügend Anhaltspunkte, um etwas zu finden.
    Ich dankte Monsieur Briard, der sichtlich enttäuscht war, dass ich ihm keine weiteren Fragen stellte, und schaltete das Handy aus. Dann wählte ich die Nummer der Auskunft und erkundigte mich nach

Weitere Kostenlose Bücher