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Das Joshua Gen (German Edition)

Das Joshua Gen (German Edition)

Titel: Das Joshua Gen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Krusch
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nicht sagt, arbeite ich nicht weiter!«
    »Dann wird Euer nächster Besucher der Großinquisitor sein. Und der wird Euch fragen, weshalb Ihr Tote aufschneidet. Er wird Euch nach den Templern fragen, und nach teuflischen Maschinen, wie die auf Euren Skizzen ...«
    Leonardo seufzte schwer und sank auf einen Schemel vor dem Werkstatttisch. Betrübt blickte er zum Grabtuch. »Ich schaffe es einfach nicht. Gott will wohl nicht, dass ich es kopiere.«
    Der Priester schmunzelte. »So glaubt Ihr also doch an ihn, das ist erfreulich.«
    »Ach was! Unfug!«, herrschte Leonardo ihn an. »Ich finde nur keinen Weg, das Bildnis des Gekreuzigten zu kopieren! Sein Tuch trägt keine Pinselstriche, keine Farbe, keinerlei Umrisslinie, und doch ist darauf ein Bild von magischer Perfektion. Aber ich weiß nicht, wie dieses Bild gemacht wurde! Wie soll ich es da nachbilden? Ich kann es nicht. Ich kann es nicht!«
    »Genau deshalb bat der Papst Euch darum.«
    »Weil ich es nicht kann?! Ihr redet, als hättet Ihr diesen Wein geleert!« Leonardo trat nach dem leeren Zinnkrug unter dem Tisch.
    »Hört mir zu ...« Der Gottesdiener setzte sich auf den zweiten Schemel. »Raffael und Michelangelo sind großartig in ihrem Können. Ihr aber, Leonardo da Vinci, werdet großartig durch das, was Ihr nicht könnt.«
    »Pfaffe, das ist absurd!«
    Der junge Priester ließ sich nicht einschüchtern. »Ihr könnt nicht unter Wasser atmen, also baut Ihr Euch ein Tauchboot. Ihr könnt nicht in eine Schlucht springen, also baut Ihr Euch einen Schirm zum Fallen. Ihr könnt nicht in die Lüfte fliegen, also baut Ihr ein Fluggerät! Versteht Ihr jetzt? Etwas nicht zu können, ist Euch Inspiration und Antrieb!«
    »So so, ich kann das Grabtuch nicht kopieren, also baue ich mir etwas, das ... Ihr seid wahrlich ein Narr!«
    »Vielleicht ginge es mit einer Art Druckform, gestaltet wie ein menschlicher Körper?«
    Leonardo winkte ab. »Die Wölbung eines Körpers würde den Abdruck verzerren. Euer Jesus bekäme ein Gesicht, breit wie ein Omelett ... Wie steht es eigentlich um mein Frühstück?«
    Der Priester schwieg dazu. Er schien in Gedanken. »Und die Camera obscura aus Euren Notizen?«, fragte er dann.
    »Was soll damit sein?«
    »Sie müsste groß genug sein für zwei Meter Tuch ...«
    »Ein Tuch, getränkt in Silbernitrat und Purpur, die das Leinen für Licht empfindlich machen, meint Ihr? Eine amüsante Idee. Vergesst sie.«
    »Warum?«
    »Es bräuchte eine perfekte Glaslinse! Unsere sind zu plump, taugen kaum zum Lesen. In der Camera obscura würde bloß ein unscharfes Abbild erzeugt!«
    »Schaut in die Kiste.«
    »Was?«
    »Schaut in die Kiste, die ich mitbrachte.«
    Leonardo sah hinein. »Sollen heute Erde und Gestrüpp mein Frühstück sein?!«, erzürnte er sich.
    »Sand und Pollen stammen aus Jerusalem, der alte Tuchstoff fand sich in den Ruinen von Masada, die Glaslinsen im Grab eines Pharaos, der einst fernste Sterne beobachtete ... Mit all dem und Eurem Genie könnte man ein zweites Grabtuch erschaffen, meint Ihr nicht?«
    Durch eine der Glaslinsen betrachtete er das sanfte Lächeln dieses hartnäckigen Priesters. Dann lächelte auch Leonardo. »Vielleicht ... vielleicht ist es möglich.« Er griff Federkiel und Pergament. »Meine Camera obscura bringt das ganze Abbild auf das zweite Tuch, doch die Feinheiten, die Feinheiten ...«, murmelte er, während er schon schrieb und skizzierte. »Man bräuchte einen feinen Pinsel, der nicht Farbe auf das Leinen aufbringt, sondern – Licht! Ein Lichtpinsel, ja! Kleine Linsen und Spiegel in hohlen Stäben werden das Licht bündeln und es weiter tragen ... alles muss Gelenke haben, die Strahlkraft der Pinselspitze veränderbar sein ...«
    Leise erhob sich der junge Priester vom Tisch und trat an das Grabtuch in dem gläsernen Kasten heran. Dankerfüllt betete er, während der Morgen über Rom sein Licht über Schächte und Spiegel hinab bis in die Kammer sandte und das Antlitz Jesu erhellte.

    Die ersten Sonnenstrahlen berührten Nonas Gesicht. Sie fror. Sie beobachtete Vince, der weiter vorn am Ufer des Eriesees stand. Er betrachtete den Horizont. Der Glutball der Sonne stieg daraus empor und färbte den gigantischen Spiegel aus Wasser. Ein neuer Tag. Und die Stille, mit der er begann, brachte Ruhe in ihre Gedanken. Seit vorgestern saß sie nun schon in einer Achterbahn. Am Bett ihres sterbenden Vaters hatte die Fahrt begonnen und war dann immer schneller und schneller geworden. Aber sie fuhr nicht

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