Das Joshua Gen (German Edition)
herunter, bis sein Gesicht ganz nah vor ihrem war. »Ich will es nicht mehr, Margaret!«
Sie bewegte sich nicht, blickte ihm fest in die Augen. »Vince, Sie wollen doch Ihren kleinen Jungen wiedersehen. Und Max will Sie sehen. Aber dafür brauche ich die ganze Geschichte, die Details, einfach alles, was Sie im April erlebt haben. Dann wird das hier gut enden, glauben Sie mir.«
Kopfschütteln antwortete ihr und seine verzweifelten Worte. »Nichts wird gut! Nichts!« Vince schüttelte den Kopf stärker. »Ich will mich nicht erinnern! Ich will nicht! Das alles soll verschwinden!« Er schüttelte seinen Kopf immer heftiger hin und her, immer schneller. So lange, bis die Erinnerungen darin zersprungen waren und rot aus seiner Nase liefen.
Margaret unterdrückte den Impuls aufzuspringen und zur Tür zu laufen, um die Pfleger zu alarmieren. »Nona würde wollen, dass Sie sich erinnern. Und Stanley auch. Und Emilio ...«
Ihr Mandant nahm wieder auf dem Bett Platz. »Das ist nicht fair«, flüsterte er.
»Ja, es ist nicht fair. Aber es ist besser als Gurte und Pillen und Sonderbehandlungen. Vince, ich weiß nicht, wie lange ich die Klinikleitung noch hinhalten kann. Für Dr. Burke ist das hier alles Zeitverschwendung! Für den ist der Fall längst klar! Für mich aber ist er das erst am Ende Ihrer Geschichte. Deshalb müssen Sie mir alles erzählen. Das ist Ihre einzige Chance, verdammt! Ich bin Ihre einzige Chance!« Sie atmete tief durch. So laut hatte sie nicht werden wollen. Sie schob ein Papiertaschentuch über den Tisch.
Vince wischte sich das Blut von Mund und Nase. »Meine einzige Chance ...«, wiederholte er.
Margaret Linney nickte und griff nach Schreibblock und Stift. »Nona erwähnte eine E-Mail auf ihrem Tablet-PC. Was stand in dieser E-Mail?«
»Es stand nichts darin. Es war nur ein Bild.«
Margaret notierte es. »Was zeigte dieses Bild?«
»Jesus.«
»Jesus Christus?!«
»Es war sein Gesicht ...«
Wie Vince die letzten Worte betont hatte, irritierte sie. »Sein Gesicht? Wie soll ich das verstehen?«, fragte sie nach. »War es Malerei? War es Bildhauerei?«
»Es war sein Gesicht, Mag.«
Er blickte in das Antlitz des Gekreuzigten. »Ich hasse dich!«, rief er. »Ich hasse dich, dreimal verfluchtes Leinentuch!« Mit einer heftigen Armbewegung fegte er Pinsel, Farbtöpfe und Weinkrug vom Tisch.
Es klopfte an die Tür seiner Werkstatt.
Das Schwert des Damokles, er wusste es.
»Herein, wenn es kein Diener Gottes ist«, brummte er.
Zwei Schlüssel öffneten zwei Schlösser. Die Eisentür schwang nach innen. Ein Priester trat ein. Er trug eine Kiste und blieb im Kreis mit den Bannzeichen stehen. Sein Körper ging nicht in Flammen auf. Beide Wachen im Gang vor der Tür nickten zufrieden und schlossen die Männer ein.
Der Graubärtige am Tisch machte ein grimmiges Gesicht.
»Wollt Ihr mich wieder kontrollieren, Pfaffe?!«
»Ich wollte Euch einen guten Morgen wünschen.«
»Nehmt dieses verdammte Tuch in seinem Sarg da wieder mit, vielleicht wird es dann einer!«
Der junge Priester stellte die kleine Kiste ab und bekreuzigte sich vor dem Grabtuch Jesu. Es hing straff gespannt in einem mannshohen aufrecht stehenden Kasten, dessen Deckel und Boden gläsern waren.
»Ein guter Morgen, ein guter Morgen ...«, murmelte der ältere Mann und raufte sich den Bart. »Wir sind hier eingesperrt, ich und dein Jesus!«
»Ihr könnt jederzeit nach nebenan in Euer Gemach.«
»Dort bin ich auch eingesperrt!«
»Nur bis Ihr mit der Arbeit fertig seid. So war es beschlossen, Ihr willigtet ein ... Wir versuchen, es hier unten so angenehm wie möglich für Euch zu gestalten. Die Werkstatt gleicht der Euren in Florenz wie ein Ei dem anderen, Meister Leonardo. Die Fenster zeigen sogar dieselbe Aussicht.«
»Die Fenster sind Trug! Man kann sie nicht öffnen, dahinter ist nur Fels mit aufgemalter Stadt! Und das Sonnenlicht, das hereinscheint, kommt über Spiegel in Schächten herunter!«
»Worüber der Heilige Vater an jedem Tag aufs Neue entzückt ist. Eure geniale Idee wird bald das gesamte unterirdische Bauwerk mit Tageslicht versorgen und die leidigen Fackeln entbehrlicher machen.«
Leonardo da Vinci betrachtete den Geistlichen nachdenklich. »Warum dies emsige Bauen dutzender Gänge und Kammern und Gewölbe? Was will der Papst mit einem neuen Rom unter dem alten? Und was will er mit hunderten Fässern Salz?«
Der Priester lächelte. »Da er es Euch nicht sagte, darf ich es auch nicht.«
»Wenn Ihr es mir
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