Das Joshua Gen (German Edition)
Christus starb.«
Nona und Vince blickten sich an.
»Haben Sie der Polizei nach Jeremys Verschwinden davon erzählt?«
»Das habe ich. Und die Blicke, die ich dafür erntete, vergesse ich nie. In einem kleinen Ort macht alles schnell die Runde, so behielt ich das andere lieber für mich.«
»Das andere?«
»Ja, noch mehr ... Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, wie ich es sonst ausdrücken soll. Jeremy war schon in den ersten Jahren anders als andere Kinder.«
»Was meinen Sie mit anders?«
Mrs. Owens erhob sich von der Couch und nahm eine Videokassette aus dem Regal unter dem Fernseher. »Gleich werden Sie es verstehen, Mrs. Jenning.«
Sie steckte die Kassette in den Recorder und startete ihn. Eine Gruppe von Kleinkindern erschien auf dem Fernsehschirm. In einem sonnendurchfluteten Raum saßen sie aufgeregt vor einer Schultafel.
»Das ist in der Vorschule. Die Kinder lernen das Alphabet. Jeremy sitzt ganz links.«
Nona hatte ihn sofort erkannt. Mit seinen dunklen Locken und den großen Augen war er nicht zu übersehen. Jetzt trat ein älterer Mann ins Bild. Er hielt weiße Kreide in seiner einen Hand und einen Schwamm in der anderen.
»Mr. Gillian, der Liebling der Kinder«, erklärte Mrs. Owens und stellte den Ton lauter.
Mit leiser, freundlicher Stimme fing der Lehrer zu sprechen an. Doch er kam nicht weit. Eines der Kinder unterbrach ihn laut.
»Wo du nicht einmal das A seinem Wesen nach kennst, wie willst du andere das B lehren? Heuchler! Lehre zuerst, wenn du es weißt, das A, und dann wollen wir dir auch glauben, wenn es um das B geht.«
Mrs. Owens schluchzte leise, während ihr fünfjähriger Sohn auf dem Video seinen Lehrer wegen des ersten Buchstabens weiter beschimpfte. Der sichtlich überraschte Mr. Gillian war zu keiner Antwort fähig. Schließlich schrie der kleine Jeremy ihn an: » Wenn du wirklich ein Lehrer bist und die Buchstaben gut kennst, dann nenne mir die Bedeutung des A, und ich will dir dann die des B sagen! « Dann brach der Junge auf seinem Platz zusammen. Das Video stoppte.
»Er konnte sich später an nichts erinnern. Aber die anderen Kinder hatten es nicht vergessen. Jeremy machte uns damals wirklich Angst ... er war nicht unser leibliches Kind, wissen Sie.« Mrs. Owens tupfte mit einem Taschentuch ihre Tränen vom Gesicht. »Der Priester half uns über diese Zeit und die Zweifel hinweg.«
Vince’ Nackenhaare stellten sich auf.
»Ein Priester?«, stellte Nona die Frage.
»Pater Green. Er stand unserer Gemeinde vor und vermittelte damals alles mit der Adoption. Der gute Mann erzählte uns von diesem Kirchenorden mit seinen Kinderheimen. Via Dei, so hieß der Orden. Ja, Via Dei. Der Weg Gottes ... Aber Mrs. Jenning, Sie sind ja so blass, ist Ihnen nicht gut?«
Sie zitterte. Tief in Ihrem Herzen wissen Sie, dass ich nicht lüge, dass es wahr ist, was da geschrieben steht. Margaret sah sich um. Alles war voller Worte. Worte in Großbuchstaben. An jeder Wand seiner Zelle.
Ein paar notierte die Anwältin. VIA DEI, KINDERHEIM und ADOPTION. Ihr schlechtes Gewissen wuchs mit jedem Wort. Sie ärgerte sich über sich selbst. Was war gestern bloß in sie gefahren, Vince so zu behandeln? Er konnte am allerwenigsten für ihre Trennung von Paul. Aber hier in der Zelle hatte sie den Ärger darüber herausgelassen. Und war dann einfach gegangen ... und ihr Mandant war durchgedreht.
»Mann, wie hat der Irre das geschafft?! Bis unter die Decke hat der ja geschrieben!« Der dunkelhäutige Pfleger mit Putzeimer und Lappen staunte mächtig. »Da werde ich mal lieber gleich Farbe besorgen und ’ne Leiter, was, Ma’am?« Er grinste. Seine Zähne leuchteten wie seine frisch gestärkte Uniform.
»Tun Sie das, aber lassen Sie sich etwas Zeit.«
Der Pfleger blickte sie zweifelnd an, dann verstand er. »Alles klar, Sie müssen noch Notizen machen, richtig?«
»Richtig.«
In der Tür blieb der Mann stehen. »Glauben Sie wirklich, dass Sie ihm damit helfen? Verstehen Sie mich nicht falsch, Ma’am, ich arbeite zwanzig Jahre hier und hab in dieser Zeit viel über Irresein gelernt. Vier von uns waren nötig, um ihn aus dieser Zelle zu kriegen, weg von diesen Wänden! Glauben Sie mir, Ma’am, nur jemand, der irre ist, kämpft so wegen ein paar verdammter Filzstifte – nur jemand, der irre ist!«
Margaret sah ihn kurz an. »Jemand, der irre ist, oder jemand, der die Wahrheit sagt ...«
»Gefällt mir, deine Geschichte.«
Vince nickte benommen in das verschwommene Grinsen. Die doppelte Dosis
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