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Das Joshua Gen (German Edition)

Das Joshua Gen (German Edition)

Titel: Das Joshua Gen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Krusch
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durchforstete das Internet wieder und wieder. Sie fand nichts. Sie suchte die Spuren des Kirchenordens. Vergeblich. Sie verglich das Foto ihres Vaters mit Fotos alter Universitätsjahrgänge. Umsonst. Wir hatten nur seine Worte, ein paar alte Zeitungsausschnitte und Mrs. Owens Tränen. Unser Besuch hatte sie geschmerzt. Durften wir das den Eltern der vier Jungen antun? Durften wir in alten Wunden bohren? Wir wussten nicht mehr weiter. Und dabei waren wir so nahe dran ... Manchmal, da sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht, Mag.«
    Er zeigte es ihr. Sie blickte auf das weiße Blatt Papier mit den vier schwarzen Kreisen, die sein Filzstift hinterlassen hatte.
    »Und was soll das sein?«, fragte sie.
    »Der Wald, Mag. Der Wald! Passen Sie auf. Ohio. Montana. Utah. Texas.«
    Vince strahlte sie an. Bei jedem genannten Bundesstaat hatte er auf einen der Kreise getippt. Margaret fühlte sich so schlau wie zuvor. Er schaute zu ihrer Aktentasche. »Haben Sie ein Lineal?«
    Ihre Ungeduld wuchs. »Nein, hab ich nicht, aber um was geht es hier denn nun?«
    »Um den fünften Jungen und eine Restaurantbedienung.« Er warf ihr einen langen vielsagenden Blick zu.
    »Herrgott noch mal, Vince, sagen Sie mir endlich, was Sie entdeckt haben!«, platzte es aus Margaret.
    »Ich? Überhaupt nichts. Becky war es. Sie löste das Rätsel, die Bedienung eines Schnellrestaurants! Unglaublich, finden Sie nicht auch?!«
    Sie fühlte die Aufregung mit ihm. Ihr Mandant erinnerte sich an etwas sehr Wichtiges. Etwas, auf das er am letzten Sonntag im März gestoßen sein musste.
    »Es gab Ärger in dieser Nacht, ich sah es vom Motel aus. Ich lief über den Parkplatz zu dem Schnellrestaurant. Der einzige Gast war verschwunden. Der Koch lag am Boden. Jemand hatte ihn aufs Linoleum geschickt. Ich war so überrascht wie die heulende Bedienung, die bei ihm hockte. Frank ist kein Mauerblümchen, wissen Sie, eher ein Ich-hatte-Mike-Tyson-zum-Frühstück-Typ. Becky holte Eis, ich tastete nach seinem Puls. Das muss er missverstanden haben. Als ich aufwachte, konnte ich nur auf einem Auge sehen. Auf dem anderen lag ein Beutel Eis. Und während Frank sich laufend bei mir entschuldigte, redete Becky auf mich ein. Ein goldenes Kreuz. Eine Speisekarte. Hundert Dollar Trinkgeld von einem Freak mit Handschuhen. Ich verstand nur Bahnhof. Becky holte die Speisekarte, drehte sie um und hielt sie zusammen mit ihrer Kette vor meine Nase. Ich sank fast wieder zu Boden. Aber nicht der Ausschnitt ihrer Bluse war der Grund, nein, es war die Rückseite der Karte, Mag!«
    »Die Rückseite?«
    »Bedruckt mit einem Umriss Nordamerikas, mit den Grenzen der Bundesstaaten und den Filialen der Restaurantkette. Doch ich sah nur die von Hand gemalten Kreise des letzten Gastes. Ohio. Montana. Utah. Texas.«
    Wieder tippte Vince die Filzstiftkreise auf dem Blatt vor sich der Reihe nach an. »Ohio ... Montana ... Utah ... Texas ... Finde den Fünften. Ich griff nach Beckys Kette. Ich ließ das Kreuz daran über den vier markierten Staaten baumeln. Finde den Fünften in der Mitte des Kreuzes.«
    Gespannt folgte Margaret der Linie, die Vince nun mit seinem Filzstift über das weiße Papier zog. Er verband den Kreis, den er Utah genannt hatte, mit dem von Ohio. Dann, quer dazu, ein Strich von Montana bis Texas. Die Anwältin bekam eine Gänsehaut. Ein Kreuz war entstanden. Ein christliches Kreuz. Und wo sich seine Balken trafen, da musste der fünfte Junge versteckt sein!
    »Colorado.« Vince schrieb es in dicken Buchstaben neben die Mitte des Kreuzes.

    » Folie à deux , Frau Anwältin, wissen Sie, was das bedeutet?«
    Sie schüttelte verneinend den Kopf.
    »Es bedeutet eine geistige Verwirrung«, fuhr er fort, »eine Verwirrung, bei der eine dominante psychotische Person eine andere schwächere Person beeinflusst, so dass beide gemeinsam Sinnestäuschungen erleben.«
    Nachdenklich musterte Margaret ihn. Der Mann war perfekt rasiert, das schüttere Haupthaar korrekt gescheitelt. Selbst die Falten auf seiner Stirn wirkten wie mit einem Lineal gezogen. »Wollen Sie damit andeuten, dass Nona Vince beeinflusste?«, fragte sie ihn.
    »Ich deute damit an, dass er Sie beeinflusst, Miss Linney.« Er lächelte freundlich. Sie war zum zweiten Mal in dem Büro, ein sehr aufgeräumtes Büro, auf der Glasplatte des Schreibtischs exakt ausgerichtet ein Schild. Klinikleitung Dr. Burke .
    »Ich werde also von Vince beeinflusst, glauben Sie.«
    »Ja, das glaube ich.«
    Sie hob den Zeigefinger.

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