Das Joshua Gen (German Edition)
von den Familien verstoßen, auch Kinder. Ich nahm solche Kinder in unseren Heimen auf.«
Vince blickte Nona seltsam an.
Sie bemerkte es. »Hey, denken Sie etwa ...? Vince, das denken Sie doch nicht!«
»Du gehörtest nicht zu diesen Kindern«, sagte der Priester.
»Jetzt reicht es! Besessene Kinder?! Dämonen?!« Angewidert wandte sie sich ab. »Ich habe mich in ihm geirrt, Vince. Er ist gar kein Lügner – nur ein verwirrter alter Mann, der dummes Zeug redet!«
Pater Simon lächelte. »Es ist egal, was du davon hältst. Der Junge kennt mich. Er vertraut mir. Dir wird er nicht folgen, vor dir wird er davonlaufen, vor dir wird er sich verstecken. Kannst du das riskieren?«
Schweigend stand sie zwischen den beiden Männern.
»Nona, wir müssen ihn mitnehmen. Ich weiß, dass Sie auf den Pater mächtig sauer sind, aber was wäre, wenn er den fünften Jungen wirklich kennt? Es würde uns einen Vorteil gegenüber diesem Handschuhträger verschaffen. Und wir brauchen dringend einen Vorteil.«
Sie nickte. »Okay, aber er soll jetzt und hier den Namen des Jungen nennen. Nennen Sie seinen Namen, Pater!«
Nathan warf noch einen Stein. Das blaue Abbild des Himmels bekam Wellen, seine gespiegelten Wolken tanzten auf und ab. Wieder zielte der Junge. Und wieder plumpste der Stein ins Wasser gleich hinter dem Modellboot. Allmählich trieb es zu ihm ans Ufer. Doch so würde es zu lange brauchen, bis er das Boot wiederhatte. Er würde Ärger kriegen. Mutter erwartete ihn pünktlich zum Mittagessen.
Hätte er nur nicht diese Furcht vor dem Wasser! Eine Furcht, die jedes Frühjahr wiederkehrte wie die Zugvögel. Die Badesaison stand bevor, und wieder würden alle ihn hänseln. Er war jetzt schon elf und konnte noch immer nicht schwimmen. Doch es war nicht seine Schuld. Das Wasser war schuld, weil es ihn nicht wollte.
Nathan blickte zu der Stelle, an der sich vor zwei Jahren das Eis unter ihm geöffnet hatte. Zwölf Meter war der See dort tief. Er hatte bloß hineinsehen wollen in das verlassene Loch eines Eisanglers, und dann hatte er das Eis brechen hören. Wie eine riesige Klappe hatte es sich unter ihm wegbewegt. Er war gerutscht in das kalte Schwarzgrün darunter. Aber er war nicht untergegangen, er war einfach auf dem Wasser zum Ufer zurückgerannt. Auf dem Wasser ... Er war damals nicht ertrunken, doch das machte Nathan nicht wirklich froh, denn niemand würde ihm glauben, dass er nicht schwimmen konnte, weil das Wasser ihn nicht ließ, weil es ihn abstieß, sobald es auch nur einen halben Meter tief wurde. Doch so war es. Und es machte dem Jungen Angst. Und es machte ihn einsam, denn die anderen würden ihn für ein Monster halten, wüssten sie es. Aber darüber wollte er jetzt nicht schon wieder nachdenken. Er suchte im Sand nach einem neuen Kieselstein. Ein paar gute Würfe noch, und sein Boot wäre am Ufer. Wenn er dann rennen würde, würde er es auch pünktlich nach Hause schaffen. Denn Mutter war das gemeinsame Essen mit Vater immer sehr wichtig.
»Das ist ein schönes Boot ...«
Der Junge hatte den Mann nicht kommen hören. Als wenn er an Ort und Stelle aus dem hellen Ufersand gewachsen wäre, stand er direkt hinter ihm.
»Hast du es gebaut?« Der Fremde lächelte ihn an.
Nathan schwieg und blickte wieder zu dem Segelboot auf der spiegelglatten Oberfläche des Sees.
»Ich bekam auch mal so eins, aber es hatte einen zu dünnen Mast und nur ein ganz winziges Segel. Es kam nie richtig in Fahrt. Mein Stiefvater meinte, das genüge völlig, sonst würde der Wind es sich holen. Aber das soll er doch, oder? Schließlich ist es ja ein Segelboot!« Der Fremde zog seinen dunklen Kurzmantel aus, faltete ihn ordentlich und setzte sich einfach neben den Jungen in den Sand.
»Ich schnitzte mir also heimlich einen größeren Mast und befestigte daran ein prächtiges Segel, das Lieblingstaschentuch meines Stiefvaters. Und weißt du, was passierte? Der Wind hat sich das Boot wirklich geholt!« Der fremde Mann lachte. Dann blickte er versonnen über das Wasser. »Bei deinem hat er es auch versucht, nicht wahr?«
Wieder warf der Junge einen Stein. Das abgetriebene Spielzeugboot begann erneut seinen Tanz auf den Wellen. Knapp fünf Meter fehlten noch bis zum Ufer.
»Man müsste darauf laufen können, was? Auf dem Wasser, meine ich.«
Die wohlige Wärme der Mittagssonne wandelte sich in eine Gänsehaut. Der Junge hielt den Atem an. Doch der im Sand sitzende Mann lächelte nur. Dann flüsterte er. »Ich kann auch nicht
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