Das Joshua Gen (German Edition)
Irgendwo dazwischen blinkte der Anrufbeantworter.
»Eins nach dem anderen, so hast du es von Daddy gelernt!«, ermahnte sie sich und fischte eine Seite aus dem papiernen Meer vor sich. Von Dämonen besessene Kinder ... Nein. Damit brauchte sie Dr. Burke erst gar nicht zu kommen. Es musste etwas anderes sein. Heimkinder ... ein Kirchenorden ... Zölibat! Geschlechtliche Enthaltsamkeit katholischer Geistlicher, doch das Fleisch war bekanntlich schwach. Sie strahlte. Ja, es ging um Kinder, Kinder gezeugt von Priestern. Und der Orden Via Dei ließ diese Kinder für den Vatikan verschwinden. Durch Adoptionen! »Guter Ansatz, Mag ...« Sie schrieb es auf einen Notizzettel und heftete ihn über ihr Bett. Aber was war mit den Knochen in der Kirche? Was war mit dem Gesicht von Jesus in der Email an Nona? Was hatte ihr Vater 1978 wirklich in Turin getan? Er half dabei mit, die Waffen für eine Schlacht zu schärfen. Diese Worte des Priesters brachten sie nicht weiter. Margaret gähnte. Eine Stunde nach Mitternacht. Es reichte. Sie schob alles Papier auf die linke Seite des Doppelbettes und löschte das Licht.
Garry betrachtete die Gäste. Der Boss hatte sie als solche angekündigt. Mehr jedoch hatte der Wachmann nicht erfahren. Nur dass er ein Auge auf beide haben sollte, weil es wirklich wichtige Gäste seien. Er sah sie auf den Monitoren. Der eine hielt sein Spielzeugboot an sich gedrückt, seit man ihn eingesperrt hatte. Und seitdem saß er auch auf dem Boden in der Ecke, links hinter dem Fußende seines Bettes. Sein Raum war gestern hergerichtet worden. Es gab jetzt ein Feldbett darin, einen gefüllten Kühlschrank und eine mobile Toilette. Sogar die neue PlayStation hatte der Professor dem Jungen besorgt. Doch er blieb ein Gefangener. Und dass der Junge das wusste, sah man ihm deutlich an.
Der Monitor daneben zeigte den anderen Gast. Garry hatte ihn gleich erkannt. Es war die junge Frau von dem Video aus der Klinik. Sie lag auf ihrem Feldbett, aber sie schlief nicht. Ihre großen dunklen Augen blickten hinauf in die Kamera, hinauf zu ihm.
Er fühlte sich unwohl. Sie und der Junge waren Tür an Tür einquartiert worden, getrennt durch eine neunzig Zentimeter dicke Stahlbetonwand. Alle zwölf Zellen in diesem Korridor hatten solch massive Wände, und in allen Zellen befand sich jemand. Oder besser, etwas ... Die vielen Monitore, die Garrys Raum erhellten, zeigten sie. Seine Furcht vor ihnen wuchs mit jedem Tag. Sie wuchsen mit jedem Tag. Die Bewohner der zehn anderen Hochsicherheitszellen hatten keine Betten und keinen Kühlschrank. Ihre Nahrung kam durch zweifach gesicherte Schleusen in den Betondecken. Und musste man ihnen doch einmal näherkommen, half eine Dusche flüssiger Stickstoff, sie ruhigzustellen.
Künstliche Hybridisierung mittels Transfer artfremder DNA, hatte der Professor den Albtraumzoo nüchtern umschrieben. Die Ergebnisse seiner Forschung ließen Garry erschaudern. Zum Beispiel Chimäre Drei. Er betrachtete sie über den Monitor. Auf acht schenkeldicken roten Krebsbeinen hockte sie in der Zelle, ihr massiger Rumpf war der eines Laufvogels, Federn schillerten in zahllosen Grüntönen. Schlangengleich wiegte sich ihr langer Hals, darauf ein Kopf, groß wie ein prämierter Kürbis, der Kopf einer Springspinne. Vier ihrer starren Augen beobachteten intensiv die Tür.
Wozu solche Wesen? Weil es nun möglich ist, Garry. Weil ich es endlich kann! Wir sind nicht länger Sklaven der Evolution. Wir sind ihre Herren. Der Achte Tag bricht an, und ich werde ihn gestalten!, hatte sein Boss geantwortet und dann gelacht, als Chimäre Drei mit nur einem Schlag ihrer Krebsschere den Panzerstahl ihrer Zellentür eingebeult hatte. Nur das Problem der Unfruchtbarkeit muss ich noch lösen ... Waren deshalb der Junge und diese Frau hier? Befanden sich deshalb jetzt zwei Menschen mitten unter diesen Kreaturen? Um ein allerletztes Problem zu lösen? Garry rieb sich die Gänsehaut vom Unterarm. Ihm gefiel das hier alles immer weniger. Es wurde Zeit, sich zu verabschieden, Zeit, den Plan zu vollenden. Ihm fehlte nur noch etwas, das sich in der Welt draußen teuer verkaufen ließ, etwas Kleines, Unauffälliges, so wie ein paar Eier dieser Monsterheuschrecken zum Beispiel.
Der Asphalt der Interstate 76 West glänzte wie eine schwarze Rattennatter, die sich gerade gehäutet hatte. Ein kurzer Regen hatte allen Präriestaub von der Straße gewaschen. Das Taxi stand auf dem Seitenstreifen. Der Motor lief.
»Osten oder Westen?
Weitere Kostenlose Bücher