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Das Joshua Gen (German Edition)

Das Joshua Gen (German Edition)

Titel: Das Joshua Gen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Krusch
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weinend auf den Atlantik geblickt. Sein Sohn hatte diese Tränen gesehen. Er hatte sich geschämt, den Vater so schwach zu erleben, so anders als Onkel Emilio. Der hatte Erfolg gehabt, der hatte etwas aus seinem Leben in Amerika gemacht. Vater hatte nie nach vorne geblickt, immer nur zurück. Nach Sardinien, der verlorenen Heimat. Vince hatte dieses weinerliche Heimweh gehasst. Es hatte oft zu Streit geführt, Sohn und Vater schließlich entzweit ...
    VATER. Nona schrieb das Wort unsichtbar an die Betondecke der Zelle. Wenigstens hatte er einen, dachte sie und lauschte wieder der Erinnerung.
    Vince hatte leiser gesprochen. Über Max. Zweimal im Monat durfte er ihn sehen. Und bei jedem Treffen dauerte es etwas länger, bis sie sich wieder wie Vater und Sohn fühlten. Und irgendwann wäre auch das vorbei ... wie bei ihm und seinem Vater. Es ist ein verdammter Teufelskreis, alles wiederholt sich! Dann hatte Vince geschwiegen, hatte kurz angehalten, sich umgedreht, und sanft ihren Mantel über sie ausgebreitet wie eine Decke.
    Ihr war zum Heulen. Wäre er nur hier. Sie hätte jetzt so gern geredet. Über das Eingesperrtsein zum Beispiel. Sie sah zu der verriegelten Panzerstahltür und lachte ein kurzes, bitteres Lachen. Solange sie denken konnte, hatte man sie eingesperrt. Der Schlafsaal im Heim hatte vergitterte Fenster gehabt. Der Speisesaal auch. Unterrichtszimmer, Küche, Garten, überall Schlösser, Gitter und Zäune. Die Schlüsselbunde der Ordensschwestern hatten den Tag bestimmt. Bis heute begleitete ihr rasselndes Lied Nonas Albträume. Damals war das Geräusch der Schlüssel für sie unerträglich geworden, hatte alles überlagert, auch die Momente, die gut gewesen waren. Momente, in denen ein kleines Mädchen durch Zaunmaschen hindurchgeblickt hatte, weit, weit hinaus, zu einem Vater, der kommen würde ... Vor vier Tagen hatte sie ihn dann gefunden. In einer Klinik. Im Zimmer 211. Ein vom Cortison aufgeschwemmtes Gesicht, ein dünner Plastikschlauch aus einem kahlen Kopf. Maschinen um ein Bett, lebendiger als der Mensch darin.
    Nona wischte die Tränen nicht ab. Sollen die mit der Kamera oben sie doch sehen! Sie berührte die Betonwand neben sich. Sie fühlte sich warm an, warm wie die Hand des Jungen. Sie hatte die kleine Hand festgehalten, bis sie getrennt wurden in einem langen Korridor mit zwölf Türen. Sie hatte um Nathan gekämpft, doch der Mann mit den Handschuhen hatte schließlich den Lauf seiner Waffe an den Kopf des Jungen gehalten. Mieser Dreckskerl! Sie würde ihn umbringen! Aber wie hier rauskommen? Es gab kein Fenster in dem verfluchten Betonwürfel, nur zwei winzige Ventilatoren für die Luft. Und eine verschlossene Klappe in fünf Metern Höhe. Sie seufzte tief. Eingesperrt. Wieder mal. Sie dachte an Vince’ Worte im Taxi. Es ist ein verdammter Teufelskreis, alles wiederholt sich!

    »Mein Vater hat mich wieder besucht.«
    »Ihr Vater ist seit vielen Jahren tot.«
    »Das scheint ihn nicht zu stören. An der Wand da waren heute früh die Spuren seiner Absätze. Vater zuckt immer mit den Füßen herum, wissen Sie, während sich der Gürtel um seinen Hals engerzieht.«
    Sie konnte nichts unter dem kleinen, vergitterten Fenster entdecken. Die Wand war weiß wie die Zwangsjacke, in die man ihren Mandanten gesteckt hatte. »Warum brachte er sich um, Vince?«
    Der Mann auf dem Bett vor ihr sah sie ängstlich an. »Weil er schwach wurde«, flüsterte er schließlich, »... und dann holt sie einen.«
    Margaret hatte die letzten Worte kaum verstanden. »Sie? Sie holt einen?«
    Vince nickte, dann flüsterte er noch etwas. »Ich werde auch immer schwächer.«
    Blauschwarze Ringe unter seinen müden Augen erzählten ihr davon. Sein abgemagerter Körper erzählte ihr davon, und die Fingerkuppen, dunkel verfärbt durch das Schreiben ... Mit ein paar Filzstiften kämpfte dieser Mann gegen seine Dämonen. Wie sollte er da gewinnen? Wie konnte sie es? Gespräche mit dem toten Vater waren nicht geeignet, Geschworene für sich einzunehmen. Und Wein in einer Karaffe aus dem Keller der alten Kirche auch nicht. Sie musste etwas Besseres finden, um Vince anständig verteidigen zu können. Vormittags hatte sie Stanleys Haus besucht. Es hatte nichts gebracht. Sie wusste jetzt, dass es zum Verkauf stand, das war aber schon alles. Nur für den Bettler hatte es sich gelohnt. Sie hatte ihm fünf Dollar gegeben für eine Blume aus dem verwilderten Garten des Hauses.
    Blieben also nur Vince, die Filzstifte und die

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