Das Joshua Gen (German Edition)
sich neben ihn.
»Kann nicht spielen ... aber eine Geschichte kann ich erzählen, kleine Königin. Deine Geschichte.« Seine Worte begannen zu strömen wie das Blut aus seiner verletzten Arterie. »Es waren einmal zwei Freunde ... zwei Forscher. Ach was, viel mehr als das! Sie waren auserwählt. Ein unschlagbares Team, verstehst du? Sie verbrachten ihre Zeit in einer Garage, aus der sie ein Labor gemacht hatten, sie gewannen Schulwettbewerbe, Universitätsstipendien, träumten von Nobelpreisen in Molekularbiologie und Genetik! Es war eine großartige Zeit ... bis Turin. Thomas veränderte sich dort. Es war der religiöse Zirkus um dieses Grabtuch. Er verbrachte nur noch Zeit mit den Priestern, ließ mich allein die Tuchproben untersuchen. So war ich derjenige, der es entdeckte. Das Blut auf dem Tuch war wirklich menschlich – und trug Reste der DNA! Heimlich isolierte ich diverse Fragmente, träumte von einer Wiederherstellung des kompletten Stranges, und stieß auf eine Anomalie im Blut des Gekreuzigten. Eine wissenschaftliche Sensation! Sie hätte uns jede Tür geöffnet. Thomas wollte davon nichts hören. Er nannte es Blasphemie und eine Beleidigung aller Gläubigen. Er klang nicht wie ein Forscher, er klang wie die verdammten Priester! Wir stritten heftig in dieser Nacht in dem Laborraum des Vatikans, wir wurden handgreiflich, das Reagenzglas mit meiner Entdeckung zerbrach in seiner Hand, aber er ließ nicht los, er nahm es mit. Ich konnte nur ein paar Scherben retten.«
Der Professor schloss ermattet die Augen und holte Luft.
»Ich nannte meine Entdeckung das Joshua-Gen ... Joshua, ein uralter Name, von dem sich auch der des angeblichen Gottessohnes ableitet. Ein ungewöhnlicher Name für ein Gen, doch auch das Stück DNA aus dem Blut des Tuches war ungewöhnlich, es war anders als alles uns Bekannte. Es enthält Uracil, eine Nukleinsäurebase der RNA – der RNA, verstehst du!«
Seine Hand tastete umher. Das warme, weiche Fell war nicht mehr da. »Nein, komm zurück. Bitte! Da ist noch so vieles, was du wissen musst ... über meine Arbeit hier, über mich ... über dich.«
Der Fuchs blieb verschwunden.
Das war es also, dachte er und sank auf das vom Tau feuchte Gras zurück. Sein Atmen wurde flacher, geriet ins Stocken. Er fror so jämmerlich. Mit seinem Blut war auch alle Wärme aus ihm geflossen. Er starrte in den Himmel hinauf, und das Licht kam.
Vom Rand des Waldes fand es seinen Weg, berührte den tödlich Verletzten mit einem schmalen Finger. Dann wurde das Leuchten mehr, verbreiterte sich, bis es warm auf den ganzen Körper fiel ... Als scheine die Sonne durch eine weit geöffnete Tür, dachte der Professor und blinzelte in das Zentrum des Lichts. Etwas wartete dort.
Sie kann alles sein. Alles!
Er stemmte sich hoch. Jede Form im Universum, jedes Lebewesen, jeder Gegenstand.
Er kroch auf den Knien darauf zu. Sie nimmt die Form an, sie spielt damit, sie lernt, die Form zu sein. In seiner Lunge gab es keinen Sauerstoff mehr, der Muskel seines Herzens verkrampfte sich. Doch ein Gedanke nahm Schmerz und Angst, denn er verhieß das ewige Leben. Ximaera frisst nicht einfach nur, sie nimmt alle Informationen ihrer Beute auf. Aussehen, Funktion, Erinnerungen – und lässt sie wieder auferstehen! Der Professor kroch zwischen den Bäumen hindurch, hinein in die gleißende Helle der Fahrstuhlkabine.
In der Geschichte unserer Kultur gibt es keinen archäologischen Fund, der die Menschheit mehr spaltet als dieser eine. Warum fasziniert ein unscheinbares Stück Tuch seit Jahrhunderten Millionen Menschen? Warum pilgert schon seit dem Mittelalter ein ununterbrochener Strom von Gläubigen nach Turin? Fest steht, dass die Existenz des Tuches zu Zeiten des byzantinischen Kaisers Justinian um das Jahr 560 bezeugt wird. ANCHEIROPOIETON wurde es da genannt, „nicht von Hand gemacht“. Im Jahr 1203 wird in der Marienkirche in Konstantinopel ein Grabtuch mit erkennbarer Jesusgestalt bezeugt. Nach den Kreuzzügen taucht in Frankreich ein Tuch auf, das Rücken- und Vorderansicht eines ein Meter achtzig großen, nackten Mannes in Begräbnishaltung erkennen lässt. Auf dem Abbild finden sich Blutspuren an Stirn, Hinterkopf, Handgelenken, Unterarmen und rechter Brust. Um das Jahr 1449 kaufen die Herzöge von Savoyen dieses Leinentuch. Es kommt nach Turin. 1898 erste Fotoaufnahme des Grabtuches durch Secondo Pia. Die Fotoplatte zeigt nicht das erwartete Negativ, sondern das Positivbild eines Gesichts! Weitere Aufnahmen
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