Das Joshua Gen (German Edition)
bestätigen das „Wunder“. Man sieht lange gewellte Haare, einen Bart, die edle Form eines Gesichts. Die Augen sind geschlossen, die Lider schwer. Das rechte Jochbein, die Nase und Wange sind angeschwollen. Es ist das Antlitz eines misshandelten Menschen. Das Tuch geht 1983 anlässlich des Besuches von Papst Johannes Paul II. bei König Umberto von Savoyen in den Besitz des Vatikans über. Untersuchungen am Grabtuch, die seit 1931 stattfinden, bringen bis heute keine Klärung. Es ist keine Malerei, der Körperabdruck ohne Farbe aus dem Nichts entstanden. Es wird menschliches Blut nachgewiesen, Blut aus Wunden. Verschiedene Stoff- und Pollenanalysen liefern verschiedene Daten. Der Streit der Experten dauert an. Ist es eine Fälschung, dann ist sie so perfekt, dass Gott der Fälscher sein muss ...
William Sutton legte Margarets Notizen beiseite. Er rührte in seinem Tee herum. Das leise Klirren des Löffels in der Tasse erinnerte den Siebzigjährigen an ein Windspiel aus farbigen Glasschmetterlingen. Er hatte es einst einem Mädchen zum zehnten Geburtstag geschenkt, seinem Patenkind, der Tochter seines besten Freundes. Und längst war sie zur Frau herangewachsen, doch in mancher Geste, in manchem Blick, erahnte William noch den kleinen blonden Wirbelwind, der durch die Gänge des Gerichtes geflitzt war, die Aktentasche des Vaters stolz in den Armen. Jetzt stand diese Aktentasche neben dem Sessel, auf dem sie Platz genommen hatte, und war angefüllt mit beschriebenen Seiten ihres seltsamen Mandanten.
»Ein altes Grabtuch, Laborungeheuer, Priesterverschwörung, ein Mann mit schwarzen Handschuhen? Ich weiß nicht, Mag, das erinnert irgendwie an die durchschnittlichen Kinofilme, für die mein jüngster Enkel die Hälfte seines Taschengeldes verschwendet.«
Sie lächelte. »Und was macht er mit der anderen Hälfte?«
»Computerspiele!«
»Tja, Will, das ist es, was Kinder heute lieben. Ich liebte mal einen zerkratzten Roller aus Holz und ein Plastikpony ohne Schweif.«
»Und du liebtest Akten ...«
»Ja – die wahre Liebe meines Lebens!« Margaret lachte.
»Von der in deiner Tasche solltest du dich aber besser trennen.« William blickte ernst. »Ich habe diese Seiten nur überflogen, aber das genügt. Gib den Fall ab, Mag.«
Sie sah den Tee, der über den Rand seiner Tasse schwappte. Er hielt die Tasse in der zitternden rechten Hand. Ein unheilbares Nervenleiden, das sich rasch ausbreitete. Es hatte den Richter in den Ruhestand gezwungen.
»Das kann ich nicht, Will, ich kann den Fall nicht abgeben.«
»Dann wirst du ihn verlieren.«
Sie seufzte.
»Natürlich ist manches auf den Seiten übertrieben, ich weiß das. Doch Vince hat eben Außergewöhnliches erlebt! Er und Nona fahren nicht 1800 Meilen zum Spaß in einem Taxi herum. Sie finden nicht drei Tote in Nonas Wohnung, weil so was mal eben passiert, so wenig wie diese Entführung am selben Tag oder der Unfalltod seines besten Freundes nur Stunden später!«
»Das ist die einzige Konstante in dieser Akte.«
»Was meinst du?«
»Bei allem war dein Mandant dabei.«
»Was? Oh nein, jetzt fang du nicht auch noch so an! Es reicht schon, dass Dr. Burke ihn für schuldig hält.«
»Und Paul? Was denkt er über den Fall?«
»Paul?! Paul hält Vince für verrückt, und mich wohl auch ...«
William drückte ihre Hand.
»Warum habt ihr euch getrennt, Mag?«
Ihre Haltung versteifte sich. »Woher weißt du davon? Redet ihr etwa hinter meinem Rücken?!«
»Niemand redet hinter deinem Rücken.«
»Hat Paul dich angerufen?!«
»Mag, beruhige dich. Wir trafen uns zufällig vor dem Gericht. Manchmal spaziere ich noch dort hin ... Warum musste ich es erst von ihm erfahren?«
»Ich will nicht darüber sprechen.«
»Aber er mit dir. Er leidet, Margaret. Er gibt es natürlich nicht zu, versteckt sich hinter seinem Dauerlächeln. Aber mir kann er nichts vormachen, er leidet wie du, ich sehe es doch.«
»Dann hätte er sich eben nicht trennen sollen!«
Seine gütigen Augen unter den dichten, weißen Brauen ruhten auf ihr. Der alte Mann in dem Sessel sorgte sich um sie wie um eine Tochter. Es rührte sie. »Will, ich weiß doch, dass du es gut meinst, dass du dir Sorgen machst meinetwegen, dass du helfen willst – aber nicht ich brauche Hilfe, sondern mein Mandant! Vince hält das Eingesperrtsein nicht mehr aus. Er muss aus der verdammten Anstalt raus, er will endlich seinen Sohn wiedersehen!«
William Sutton schenkte ihr Tee nach. »Wenn er das wirklich will,
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