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Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)

Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)

Titel: Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett , Jack Cohen , Ian Stewart
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immer wieder den Kopf und versucht, die unteren Baumäste abzufressen, obwohl es ihm jedes Mal misslingt. Weil es misslingt, wäre das ein Analogon zur Vorstellung. Aber gelegentlicher Erfolg könnte für Okapis mit geringfügig längeren Hälsen und Beinen von Vorteil sein und zu einer Giraffe führen. Dieser Prozess wird oft der »Baldwin-Effekt« genannt.
    Vor einigen Jahren haben wir ein Tierverhalten beobachtet, welches durchaus zum Ausgangspunkt solch einer Entwicklungsroute werden könnte – eine Exaptation im Stadium der Entstehung. Saugmaulwelse (»Plecos« nach dem Gattungsnamen Plecostomus) sind in größeren Aquarien häufige Abfallverwerter, die Algen von den Glasscheiben abfressen. In der Wildnis können sie sich an glatten Steinen festhalten, während sie den Algenbelag abgrasen; sie haben auch eine wirksame Bewehrung mit stachligen Knochenstrahlen in Rücken- und Brustflossen. In Aquarien verleihen ihnen diese Charakteristika eine völlig andere Fähigkeit, die wir bei einem Pleco im Gemeinschaftsraum des Mathematik-Instituts an der Universität von Warwick in Aktion gesehen haben. Seine natürlichen Fertigkeiten bewirkten, dass er weitaus besser als andere Fische schwimmende Futterpellets aufsammeln konnte. Er tat dies auf eine Weise, die wilden Plecos ziemlich fremd ist: Er drehte sich auf den Rücken und benutzte sein Saugmaul, um durchnässte Pellets aufzunehmen, während seine stacheligen Flossen die Konkurrenz fernhielten. Ein Welsmaul, daran angepasst, Nahrung von Steinen aufzunehmen, kann also per Exaptation benutzt werden, um Futterpellets von der Wasseroberfläche zu sammeln, insbesondere dann, wenn der betreffende Fisch eine wirksame Verteidigung hat und das Futter weich ist.
    Eine künftige genetische Assimilation könnte dieses exaptierte Verhalten ohne Weiteres in die Gene der Pleco-Population einbauen, sodass ein Pleco Nahrung von der Wasseroberfläche in der Regel auf genau diese Art aufnehmen würde.
    Etwas Derartiges ist wahrscheinlich sogar schon geschehen – allerdings nicht bei den Nachfahren des Saugmaulwelses im Mathematik-Institut, denn er hatte keine. Der betreffende Fisch ist der Rückenschwimmende Kongowels Synodantis nigriventis * [* Der zweite Teil des Namens bedeutet »dunkelbäuchig«. Weil er auf dem Rücken schwimmt, ist sein Rücken hell geworden wie der Bauch der meisten Fische, sein Bauch hingegen dunkel.], der mithilfe einer ähnlichen Technik in der Wildnis Insekten von der Wasseroberfläche aufnimmt. Wir haben also beide Enden einer plausiblen Evolutionsroute. Sie beginnt vielleicht mit einem hungrigen Wels, der auf ein Stück Nahrung an der Oberfläche aufmerksam geworden ist, nicht weit entfernt im flachen Wasser, vielleicht eine verfaulende, schwimmende Insektenleiche. Der Wels dreht sich um beim Versuch, sein Maul in die Nähe des verlockenden Bissens zu bekommen, und selbst wenn es ihm meistens misslingt, wird jeder zufällige Erfolg belohnt. Er wird fortan für diese Nahrungsquelle sensibilisiert sein und durchstreift vielleicht das Flachwasser auf der Suche nach mehr davon. Seine Nachkommen, die in derselben Umwelt aufwachsen, werden dann wahrscheinlicher für ein ähnliches Verhalten selektiert, falls genetische Veränderungen es effizienter machen können.
    Dieses Szenario widerspricht Stephen Jay Goulds Behauptung in Das Lächeln des Flamingos , dass Anpassungen wie Kopfüberfressen des Flamingos, der Krustazeen aus Salzseen fischt, mit einer einzigen radikalen Abweichung vom normalen Gebrauch des Schnabels einhergehen müssen. Tiere können kleine Verhaltensexperimente ausprobieren, und wenn sie belohnt werden, können diese in ihr nachfolgendes Verhalten eingebaut werden. Wenn dann die Belohnung so bedeutsam ist wie eine neue Nahrungsquelle und neuartige Paarungsgelegenheiten, kann die natürliche Auslese das Verhalten perfektionieren.
    Die technische Evolution kann solche Zeit, Nachkommenschaft und neue Funktionen verschwendenden Aspekte der organischen Evolution auf zweierlei Art vermeiden. Die erste haben wir schon besprochen: Menschliches Denken kann in das angrenzende Mögliche springen und sehen, ob es »in der Vorstellung« funktioniert. Können wir uns ein zehnmal größeres Flugzeug vorstellen? Und was müsste verändert werden, damit es funktioniert? Wenn wir einen Fahrradrahmen verlängern und der Fahrer sich somit zurücklegen muss – wie soll er die Straße sehen? Soll er also lieber auf dem Bauch liegen? Beides ist ausprobiert worden

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