Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
sich auf Warmblütigkeit und eine effiziente Lungenbelüftung zum Fliegen, um ihre Jungen mit Nahrung versorgen und sie in Nestern betreuen zu können, ehe diese die sehr anspruchsvolle Lebensweise ihrer Eltern annahmen. Säugetiere erreichten eine Turbo-Energieversorgung, indem sie eine stabile hohe Körpertemperatur hielten, und drangen in mehr Lebensbereiche als die Vögel vor, vom Graben und Schwimmen bis zum Fliegen. Was sie mittlerweile fast so gut wie Vögel vermögen, aber ohne eine Lungenbelüftung nach dem Durchströmungs-Prinzip. Aus einer Sicht, die alle Chordaten erfasst, sind die Säugetiere deren Weltraumlift.
Innerhalb des letzten Schrittes finden wir eine ähnliche Folge von Vorstößen in die angrenzenden Möglichkeiten, wobei die terrestrischen Ökosysteme durch die Anwesenheit großer Landsäuger selbst verändert wurden. Grasland wie Savannen und Steppen, arktische Birken, Flechten und Moos-Tundren werden alle durch ständige Wechselwirkung mit großen pflanzenfressenden Säugetieren erhalten. Große Zahlen kleiner Nagetiere – Mäuse, Ratten, Wühlmäuse, Lemminge, Hamster – leben in und unter solchen Grasländern. Sie fressen mehr von der Vegetation als ihre großen Vettern und tragen mehr zu diesen Ökosystemen bei. Manche Wechselwirkungen zwischen Säugetieren und ihrer Umwelt sind weithin bekannt: Kaninchen und Dachse, die ihre Baue anlegen, Rotwild, das die Baumrinde abschält. Wir müssen in den Zoo gehen, um die ganze Breite der adaptiven Radiation in Augenschein zu nehmen, darunter jene seltsamen Nagetiere aus den südamerikanischen Pampas: Pakas, Capybaras (Wasserschweine) und Meerschweinchen. Und Fledermäuse. Und Tümmler, Delfine, Zahnwale, sich als Filtrierer ernährende Bartenwale. Und alle die Primaten, uns eingeschlossen. Die Säugetiere sind also, wie die Insekten unter den Wirbellosen, die große Erfolgsgeschichte.
In den Begriffen unserer Raumfahrt-Analogie sind die säugetierähnlichen Reptilien von vor vierhundert Millionen Jahren und die heutigen Monotremen (eierlegende Absonderlichkeiten wie der Schnabeligel und das Schnabeltier) die Raketenschiffe. Die Beuteltiere – Kängurus, Potoroos und Opossums – sind die Weltraum-Bolas. Und Plazenta-Säugetiere – der Großteil der heute lebenden Säuger, darunter Kühe, Schweine, Hunde, Flusspferde, Elefanten, Affen und Menschen – sind der Weltraumlift.
Jede Evolutionsfolge kann als Treppe von emergenten Eigenschaften dargestellt werden, neue Daseinsweisen, die neuen Regeln gehorchen und die die alten Beschränkungen wirksam überwunden haben. Dieses Bild ist für Säugetiere ebenso angebracht wie für Schreibwerkzeuge oder Radioempfänger. Es ist eine allgemeine Eigenschaft unseres seine Komplexität selbst erhöhenden Planeten in einem seine Komplexität selbst erhöhenden Universum. Im Lauf der Zeit geschehen mehr verschiedene Dinge auf immer unterschiedlichere Art und Weise, mit neuen Regeln und neuen Funktionen.
Dieses Bild vom mannigfaltigen Universum, das sich selbst zu Mustern knüpft, die auf vorangehenden Mustern aufbauen, ist fast das genaue Gegenteil der aus dem 20. Jahrhundert stammenden Vorstellung von der ständig zunehmenden Entropie, die zum Wärmetod führt. Kann diese Selbstkomplikation endlos weitergehen? Wir wissen es nicht, aber diese Ansicht ist ebenso sinnvoll wie die gegenteilige, und es spricht eine Menge für sie. Heißt das, dass alles , was derzeit unmöglich ist, in Zukunft unweigerlich möglich sein wird? Natürlich nicht. Mit jedem Schritt aufwärts wird eine Auslese unter Möglichkeiten getroffen.
Diesen Ausleseprozess nennen Mathematiker einen Symmetriebruch: Zunächst scheinen mehr Möglichkeiten verfügbar zu sein, als im nächsten Stadium verwirklicht werden, doch paradoxerweise gibt es danach mehr Möglichkeiten als zuvor. Wenn Voranschreiten die Regel ist – und das scheint der Fall zu sein –, dann formen Beschränkung und Selektion fast überall die Zukunft, indem sie die Evolution von Raketenschiffen bis zu Weltraumlifts bewirken. Wir mögen uns vielleicht wundern, dass das Moore’sche Gesetz schon so lange gilt, doch wenn wir die Veränderungen bei der Datenverarbeitung im Lauf der letzten Jahrzehnte untersuchen, dann sehen wir, dass in der Geschichte der Säugetiere die Verbesserungen auf der früheren Stufe jedes Mal undenkbar waren.
Aus diesem Grund kann die engstirnige Anwendung von Naturgesetzen wie dem Energieerhaltungssatz oder dem Zweiten Hauptsatz der
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