Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
stellt man sich so vor, dass sie entweder derartig eng aufgerollt sind, dass wir sie nicht bemerken, oder dass sie Menschen nicht zugänglich sind – ebenso wie A. Quadrat ohne Hilfe Flächenland nicht verlassen konnte, sondern einen Anstoß durch die Kugel brauchte, die ihn in die dritte Dimension versetzte. Die Formulierungen der Stringtheorie, die derzeit en vogue sind, führen auch neue »Supersymmetrie«-Prinzipien ein, die die Existenz einer Menge von »Spartikeln«* [* Es sind also S-Partikel = S-Teilchen, aber ein deutsches Wort »Steilchen« klänge wohl doch zu albern. – Anm. d. Übers. ] als Entsprechungen der bekannten Teilchen vorhersagen. Zu einem Elektron gehört also ein Selektron und so weiter. Diese Vorhersage ist bisher jedoch nicht bestätigt worden. Der LHC hat Spartikel gesucht, bisher aber exakt null gefunden.
Einer der letzten Vereinigungsversuche, der sich von den meisten vorangehenden erfrischend unterscheidet, bringt uns wieder nach Flächenland. Die Idee, die in der Mathematik geläufig und oft erfolgreich ist, besteht darin, sich von einem heruntergestutzten Spielzeugproblem inspirieren zu lassen. Wenn es zu schwer ist, die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik im dreidimensionalen Raum zu vereinheitlichen, warum dann das Problem nicht vereinfachen, indem man sich den Fall des zweidimensionalen Raumes ansieht, der zwar unphysikalisch, aber mathematisch informativ ist? Plus eine Dimension für die Zeit, versteht sich. Der Ausgangspunkt ist ja klar. Um zwei Theorien vereinigen zu können, braucht man erst einmal die beiden Theorien. Wie also sähe die Gravitation in Flächenland aus? Und wie die Quantenmechanik? Wir wollen nicht versäumen zu erklären, dass Flächenland hier nicht A. Quadrats euklidische Ebene zu sein braucht. Jeder zweidimensionale Raum, jede Oberfläche würden genügen. Andere Topologien sind sogar wesentlich, damit es interessant wird.
Man kann ganz geradlinig sinnvolle Analogien zu Einsteins Feldgleichungen für den Fall aufschreiben, dass der Raum eine Fläche ist. Es kommt dem ziemlich nahe, was Gauß am Beginn der ganzen Sache tat, und seine Ameise hätte keine Schwierigkeiten, die richtigen Gleichungen aufzustellen, da sie alle von Krümmung handeln. Man kann offensichtlichen Analogien folgen, man braucht nur an Schlüsselpositionen eine Drei durch eine Zwei zu ersetzen. Auf der Rundwelt hat der polnische Physiker Andrzej Staruszkiewicz solche Gleichungen 1963 niedergeschrieben.
Es erweist sich, dass die Gravitation in zwei Dimensionen sich wesentlich von der in drei Dimensionen unterscheidet. In drei Dimensionen sagt die Relativitätstheorie die Existenz von Gravitationswellen voraus, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen. In zwei Dimensionen aber gibt es keine Gravitationswellen. In drei Dimensionen sagt die Relativitätstheorie voraus, dass jede Masse den Raum zu einem rundlichen Huckel krümmt, sodass alles, was vorbeifliegt, einem gekrümmten Weg folgt, als würde es von der Newton’schen Schwerkraft angezogen. Und ein Körper, der sich im Ruhezustand befand, fällt in den Gravitationsschacht der betreffenden Masse. In zwei Dimensionen krümmt die Gravitation den Raum aber zu einem Kegel. Sich bewegende Körper werden abgelenkt, ruhende Körper aber bleiben einfach ruhen. In drei Dimensionen kollabieren massereiche Körper unter ihrer eigenen Schwerkraft und bilden Schwarze Löcher. In zwei Dimensionen ist das unmöglich.
Mit diesen Unterschieden können wir leben, aber in drei Dimensionen sind Gravitationswellen eine nützliche Methode, die Relativitäts- mit der Quantentheorie zu verknüpfen. Das Fehlen von Gravitationswellen in zwei Dimensionen bereitet Kopfschmerzen, denn es bedeutet, dass es da nichts zu quanteln gibt. Die Gravitation sollte hypothetischen Teilchen namens Gravitonen entsprechen, und in der Quantentheorie haben Teilchen geisterhafte Gefährten – Wellen. Keine Wellen, keine Gravitonen. 1989 stieß jedoch Edward Witten, einer der Architekten der Stringtheorie, auf ein anderes Quantenproblem, in dem Felder vorkommen, die keine Wellen fortpflanzen. Die zweidimensionale Gravitation hat diese Eigenschaft, und das öffnete ihm die Augen für eine fehlende Zutat.
Topologie.
Selbst wenn sich Gravitation nicht als Welle ausbreiten kann, kann sie einen großen Einfluss auf die Form des Raumes ausüben. Wittens Erfahrung mit topologischen Quantenfeldtheorien, bei denen genau diese Zutat in Erscheinung tritt, wies einen
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