Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
Sirene des Polizeiautos klingt tiefer, wenn es vorbeigefahren ist und nicht mehr auf uns zukommt, sondern sich entfernt. Aus dem Dopplereffekt folgt, dass die betreffenden Galaxien mit erheblichen Geschwindigkeiten von uns zurückweichen müssen. Hubble stellte in einer Kurve den Betrag der Rotverschiebung über den Entfernungsschätzungen für 46 Galaxien dar, in denen man Chepheiden gefunden hatte. Die Kurve war annähernd eine Gerade und legte nahe, dass die Geschwindigkeit des Zurückweichens (aus der Rotverschiebung abgeleitet) proportional zur Entfernung ist. 1929 fasste er dies in einer Formel zusammen, die nun das Hubble’sche Gesetz genannt wird. Die Proportionalitätskonstanten, die Hubble-Konstante, hält man gegenwärtig für etwa 70 km/s pro Megaparsec. Hubbles ursprüngliche Schätzung war etwa siebenmal zu hoch gewesen.
Man weiß inzwischen, dass der schwedische Astronom Knut Lundmark die gleiche Idee 1924 hatte, fünf Jahre vor Hubble. Er benutzte die scheinbare Größe von Galaxien, um auf ihre Entfernung zu schließen, und sein Wert für die »Hubble«-Konstante wich vom gegenwärtigen um etwa ein Prozent ab – viel besser als der von Hubble. Seine Arbeit wurde jedoch ignoriert, weil seine Methoden nicht durch unabhängige Messungen überprüft worden waren.
Diese Entwicklungen verknüpften die Größe des Universums und sein dynamisches Verhalten und führten zu einer verblüffenden Schlussfolgerung. Wenn sich alle Galaxien von uns fortbewegen, dann befindet sich entweder die Erde nahe am Zentrum einer expandierenden Region, oder das ganze Universum wird größer.
Den Astronomen war bereits bewusst, dass sich das Universum möglicherweise ausdehnte. Einsteins Feldgleichungen, die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie, sagten es voraus. 1924 entwickelte Alexander Friedmann drei Lösungstypen der Feldgleichungen in Abhängigkeit davon, ob die Raumkrümmung positiv, null oder negativ ist. Mathematiker, die über nicht euklidische Geometrie arbeiteten, hatten solche Räume schon entdeckt; sie werden elliptisch, euklidisch beziehungsweise hyperbolisch (wie das Escherversum) genannt. Der elliptische Raum ist endlich, eine Hypersphäre – wie die Oberfläche einer Kugel, aber dreidimensional. Die beiden anderen sind von unendlicher Ausdehnung. (Das Escherversum ist wie die Rundwelt: Von außen betrachtet, scheint es endlich zu sein, doch innen, wo es nach seiner eigenen Metrik gemessen wird, ist es von unendlicher Ausdehnung. Darum kann es unendlich viele Engel und Teufel enthalten, alle von der gleichen Größe.) Die Feldgleichungen spezifizierten einen Bereich für die möglichen Formen des Universums, legten die Form aber nicht eindeutig fest.
Die Feldgleichungen erlauben auch, dass sich die Gestalt des Universums im Lauf der Zeit ändert. 1927 leitete Georges Lemaître aus den Einstein’schen Feldgleichungen ein sich ausdehnendes Universum ab und schätzte die Ausdehnungsrate. Seine 1931 veröffentlichte Arbeit »Ein homogenes Universum von konstanter Masse und wachsendem Radius gemäß den Radialgeschwindigkeiten extragalaktischer Nebel« blieb weitgehend unbeachtet, weil sie in einer obskuren belgischen Zeitschrift erschienen war, wurde aber schließlich zum Klassiker.
Lemaîtres Lösung stand im Widerspruch zur vorherrschenden kosmologischen Meinung, doch der populäre (und populistische) Astronom Sir Arthur Eddington glaubte, dass Lemaîtres Theorie viele von den Hauptproblemen der Kosmologie löste. 1930 lud er Lemaître zu einem Meeting in London ein, das der Physik und der Spiritualität gewidmet war. Inzwischen hatte Lemaître erkannt, dass – wenn man die Ausdehnung des Universums rückwärtslaufen lässt – in einer ziemlich weit zurückliegenden Vergangenheit alles in einem Punkt zusammenläuft.* [* Genau genommen tat Lemaître das in seiner ursprünglichen Veröffentlichung nicht. Anstelle einer Punktsingularität in einer endlichen Zeit in der Vergangenheit gibt es dort eine hypersphärische Singularität unendlich weit in der Vergangenheit.] Er nannte diese ursprüngliche Singularität das Uratom und veröffentlichte die Idee in der führenden wissenschaftlichen Zeitschrift Nature . Es folgte eine große Kontroverse. Lemaître erwies seiner Idee vielleicht einen Bärendienst, indem er sie »das Kosmische Ei« nannte, »das im Augenblick seiner Erschaffung explodiert«.
Fred Hoyle – damals ein führender Verfechter der Theorie des stationären Zustands, wonach sich
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