Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
Gewissheit das Gleiche ist, wenn man unrecht hat: Die Stärke des eigenen Glaubens ist kein gültiges Maß für die Beziehung zur Wirklichkeit. Wenn sie wissenschaftlich ausgebildet sind, erlernen sie vielleicht sogar den Wert des Zweifels. Sie können einen religiösen Glauben haben und ein guter Wissenschaftler sein, zweifellos können Sie ein guter Mensch sein und verstehen, dass andere, die Ihren Glauben nicht teilen, nicht notwendigerweise böse oder auch nur irregeleitet sind. Immerhin halten die meisten Menschen auf der Welt, sogar die religiösen, Ihren Glauben für Unsinn. Diese Leute haben ein anderes Ensemble von Glaubensvorstellungen, welches Sie wiederum für Unsinn halten. Aber religiöse Extremisten sind sich der menschlichen Neigung zur Selbsttäuschung nicht bewusst und weigern sich, die einfachsten Maßnahmen zu ergreifen, um ihr entgegenzuwirken.
Als die British Humanist Association einen Bus mietete, um ihn mit der Aufschrift »Wahrscheinlich gibt es keinen Gott. Also machen Sie sich keine Sorgen und genießen Sie das Leben« zu versehen und damit durchs Vereinigte Königreich zu touren, reagierten einige religiöse Autoritäten postwendend mit der Bemerkung: »Sie scheinen sich ihrer Sache nicht allzu sicher zu sein.« Nein, sie wollten den Opponenten keine leichte Handhabe bieten, sie des Dogmatismus zu bezichtigen. Und – ein praktischerer Gesichtspunkt – sie wollten nicht womöglich gegen die für Werbung gültigen Bestimmungen verstoßen. Eine andere Reaktion waren künstliche Aufregung und die Behauptung, man werde verfolgt. Aber Humanisten haben ebenso gut das Recht, ihre Ansichten auf die Seite eines Busses zu bringen, wie Zehntausende von Kirchen weltweit das Recht haben, »Der Tod ist der Sünde Sold« an ihre Mauern zu kleben. Ebendarum haben die Humanisten den Bus gemietet. Eine kleine Stimme, die gegen eine intolerante Menge anschreit.
»Glaube« ist ein sehr sonderbares Wort und wird auf verschiedene Weise gebraucht. »Glauben, dass …« unterscheidet sich erheblich von »glauben an«, was wiederum etwas anderes ist als »glauben von«. Beispielsweise glauben wir von der Wissenschaft, dass sie einfach unser bester Schutz davor ist, (an) etwas zu glauben, weil wir es glauben wollen. Doch vielleicht glauben wir auch in gewissem Maß an die Wissenschaft – im Unterschied zum Glauben an eine Religion oder einen Kult: Wir glauben, dass die Wissenschaft Wege finden kann, die Menschheit aus ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten herauszuführen, Wege, die der Politik, Philosophie oder Religion nicht zu Gebote stehen.
Es gibt noch eine ganz andere Verwendung von »glauben«, die unserer Ansicht nach nicht immer wahrgenommen wird. Nehmen wir an, ein Wissenschaftler sagt: »Ich glaube, dass die Menschen sich durch Evolution entwickelt haben.« Ein religiöser Mensch entgegnet: »Ich glaube, dass die Menschen von Gott erschaffen wurden.« Oberflächlich betrachtet sind das ähnliche Aussagen, und man kommt leicht zu dem Schluss, Wissenschaft sei einfach nur eine andere Art von Religion. Wenn man jedoch in der Religion etwas glaubt, dann betrachtet man es als unverrückbare Wahrheit. In der Wissenschaft bedeutet dasselbe Wort: »Ich bin mir dessen nicht ganz sicher.« Wie wir sagen könnten: »Ich glaube , ich habe meine Kreditkarte in der Kneipe liegen lassen«, wenn wir keine Ahnung haben, wo sie abhandengekommen ist.
Ponder Stibbons glaubt, die Rundwelt sei ein Konstrukt, dessen Entstehungsgeschichte in Ereignissen auf der Scheibenwelt begründet ist. Wir glauben mit Ihnen das Umgekehrte: dass die Scheibenwelt ein Konstrukt ist, welches Terry Pratchett auf der Rundwelt erschaffen hat. Es kann einfach sein, dass beide Arten von Glauben wahr sind – für einen bestimmten Wert von »wahr«. Wir alle haben die eine oder andere Art von Glauben. Werfen wir einen Blick darauf, wie wir dazu kommen und wie wir unsere Glaubensvorstellungen beurteilen könnten.
Haben Säuglinge einen Glauben? Überraschenderweise scheint die Antwort »Ja« zu lauten. Es sind sehr primitive, schwach ausgeprägte Glaubensvorstellungen, und selbst in den ersten sechs Monaten des Lebens werden sie merklich verfeinert, doch einige Verhaltensweisen – sogar von Neugeborenen – legen nahe, dass ein großer Teil der Verdrahtung des Gehirns im Mutterleib stattgefunden hat. Das Baby ist weit davon entfernt, eine Tabula rasa zu sein, auf die alles geschrieben werden kann – eine Feststellung, die Pinker überzeugend in
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