Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
oft als schmutzig dargestellt, dasselbe gilt für Mäuse. Jack hat nie herausgefunden, was Phobien gegen Vögel und Federn ausgelöst haben kann, aber es wird sicherlich in Familien weitergegeben und ist viel wahrscheinlicher erlernt als genetisch vererbt. Es könnte ein großartiges Beispiel für Meme sein, Glaubensvorstellungen, die sich von Hirn zu Hirn ausbreiten wie ein Computervirus, in diesem Fall nicht durch Worte übertragen. Doch wir können sehen, wie nützlich diese Phobien sein könnten, wenn wir viel näher an der Natur leben würden. Sie lehren uns, welche Geschöpfe wir meiden sollen, und zwar sofort. Und während es keine große Rolle spielt, wenn wir gelegentlich ein in Wahrheit harmloses Tier meiden, könnte der umgekehrte Fehler katastrophal enden.
Glaubensvorstellungen entstehen durch Wechselwirkungen zwischen dem Hirn eines Menschen und seiner Umwelt – nämlich anderen Menschen, aber auch der Natur (Spinnen!). Es lohnt sich also, einen allgemeinen Blick auf Wechselwirkungen zu werfen.
Wenn A auf B einwirkt, nennen wir das eine Wirkung, wenn jedoch auch B auf A (zurück)wirkt, sagen wir, dass A und B in Wechselwirkung stehen. Ein Baby und seine Mutter sind solch ein Fall. Doch die meisten Wechselwirkungen sind nicht nur eine Art Austausch, und sie haben tiefer reichende Folgen: A und B werden durch die Wechselwirkung mehr oder weniger verändert . Sie werden zu A’ und B’; dann wechselwirken sie wieder und wieder und werden noch stärker verändert. Nach mehreren Veränderungen dieser Art sind A und B ziemlich unterschiedliche Systeme geworden.
Beispielsweise tritt ein Schauspieler auf die Bühne, und das Publikum reagiert; der Schauspieler reagiert darauf, und das Publikum reagiert wiederum auf die neue Art, wie der Schauspieler sich gibt … und so weiter. In Chaos – Antichaos haben wir diese tiefere Art von Wechselwirkung »Komplizität« genannt und einem vertrauten Wort eine Fachbedeutung zugeordnet, die nicht zu weit von der üblichen entfernt ist, aber zugleich eine Mischung aus Komplexität und Einfachheit, Simplizität, andeutet. Die Komplizität zwischen Kind und Mutter – später zwischen Kind und Lehrern, dann mit Sportmannschaften, dann mit der ganzen Erwachsenenwelt – ist der »Mach-einen-Menschen-Baukasten«, von dem wir schon gesprochen haben. Wir brauchen auch ein Wort für diese kulturelle Wechselwirkung und haben »Extelligenz« vorgeschlagen. Individuen sind in telligent; in ihren Gehirnen gibt es nützliche Gedanken und Fähigkeiten, die irgendwie verkörpert, im Gedächtnis gespeichert und gebrauchsbereit gemacht werden. Doch der größte Teil des kollektiven Wissens einer Kultur befindet sich außerhalb jedes gegebenen Individuums und bildet einen Informationskomplex, der sich in keinem einzelnen Hirn befindet, sondern außerhalb – daher Ex telligenz. Vor der Erfindung der Schrift war der Großteil der Extelligenz einer Kultur im Gesamtkollektiv der Gehirne enthalten, doch als das Schreiben aufkam, brauchte manches davon – oft das für die Kultur Wichtigste – das Hirn nicht mehr zum Aufbewahren, sondern es wurde ihm nur entnommen und dann gedeutet. Der Buchdruck gab diesem Typ von Extelligenz starken Auftrieb, und die moderne Technik hat zu ihrer Vorherrschaft geführt.
Woher kommen unsere Glaubensvorstellungen? Aus der Komplizität zwischen unserer Intelligenz und der umgebenden Extelligenz. Der Prozess dauert bis ins Erwachsenenalter hinein an, die größte Wirkung tritt aber in der Kindheit ein. St. Franz-Xaver, Mitbegründer des Jesuitenordens und Missionar, soll gesagt haben: »Gebt mir das Kind, bevor es sieben ist, und ich gebe euch den Mann.« Wenn man die heute führende Extelligenz, das Internet, durchsucht, findet man ein fast endloses Spektrum von Interpretationen dieses Satzes, von gutartigen bis zu bösartigen. Der gemeinsame Nenner sind jedoch die Formbarkeit der menschlichen Intelligenz in jungen Jahren und ihre Bestimmtheit danach.
Bis vor ziemlich kurzer Zeit waren fast alle Menschen religiös gläubig. Die Mehrheit ist es noch, aber die Proportionen hängen auf dramatische Weise von der Kultur ab. Im Vereinigten Königreich sagen ungefähr vierzig Prozent, sie hätten keine Religion, dreißig Prozent ordnen sich einer Religion zu, halten sich aber in keiner Weise für religiös, und nur dreißig Prozent haben nach eigener Aussage wesentliche religiöse Glaubensvorstellungen. Ein noch geringerer Anteil besucht regelmäßig eine Kirche.
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