Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
auszuloten, ist schwierig, aber die Psychologen haben hilfreiche Techniken dafür entwickelt. In diesem Fall wurden die Teilnehmer eines Experiments zunächst nach dem Ausmaß ihres religiösen Glaubens befragt. Einige Zeit später wurde auf zweierlei Weise das Hauptexperiment durchgeführt. Bei der ersten Version erhielten die Teilnehmer einen zufällig umgestellten Fünf-Worte-Satz wie etwa »sprechen als lauter Worte Taten« und wurden aufgefordert, die Wörter so zu ordnen, dass sie einen Sinn ergaben. Manche erhielten verwirrende Sätze, in denen sich viele Wörter auf analytisches Denken bezogen; bei den anderen war das nicht der Fall. Nach dieser Übung wurden alle gefragt, ob sie der Behauptung zustimmten, dass Gott existiere. Die Gruppe, in deren Trainingsperiode Wörter mit Bezug auf analytisches Denken vorkamen, zeigte weniger Zustimmung. Diese Tendenz blieb sogar dann bestehen, wenn der bisherige Glaube der Probanden berücksichtigt wurde. Die zweite Version des Experimentes stützte sich auf frühere Forschungen, die gezeigt hatten, dass bei Teilnehmern, denen man eine schwer leserliche Schrift zu lesen gegeben hatte, das analytische Denken gefördert wurde, vermutlich weil sie langsamer vorgehen und die Bedeutung von Buchstaben erraten mussten. Teilnehmer, denen man eine schlecht leserliche Schrift vorgelegt hatte, neigten weniger dazu, der Existenz Gottes zuzustimmen, als solche, die gut leserliches Material erhalten hatten.
Der Zeitschriftenartikel resümierte die Studie: »Sie trägt möglicherweise zum Verständnis bei, warum die Mehrheit der Amerikaner dazu neigt, an Gott zu glauben. Da Denken nach System 2 Anstrengung erfordert, neigen die meisten von uns dazu, sich wo immer möglich auf Denken nach System 1 zu verlassen.«
Es gibt eine lockere Beziehung zwischen System 1 beziehungsweise System 2 und der Benford’schen Unterscheidung. Intuitives Denken nimmt größtenteils eine menschenbezogene Weltsicht ein und betont oft rasche Entscheidungen, die auf wenig mehr als vagen Vermutungen beruhen. Viele Leute, die es schwer finden, die Aussagen von Wahlkandidaten abzuwägen, weil politische Themen oft kompliziert sind, verlassen sich auf Stegreifurteile nach System 1. »Seine Augen stehen zu eng beieinander.« »Mir gefällt dieser flotte Anzug, den er trägt.« »Jeder, der für/gegen einen freien Markt ist, kriegt meine Stimme.« Universumbezogenes Denken ist notwendigerweise analytisch, System 2. Menschen müssen üben, um unmenschliche Gedanken zu denken. Es erfordert Mühe und Bildung, eine menschenbezogene Sichtweise abzulehnen.
Natürlich gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass diese beiden Arten, Denkprozesse zu unterscheiden, deckungsgleich seien, und wahrscheinlich sind sie es im Einzelnen nicht. Zudem kratzen psychologische Experimente nur an der Oberfläche menschlicher Motivationen und Glaubensvorstellungen. Selbst wenn die Schlussfolgerungen korrekt sind – und es lassen sich relativ leicht Einwände erheben –, zeigen sie eine Assoziation auf, keine Ursache. Doch die Ergebnisse korrespondieren mit anderen Beobachtungen betreffs religiösen Glaubens, beispielsweise, dass er unter Wissenschaftlern und Hochgebildeten viel seltener vorkommt als unter wenig gebildeten Menschen. Und es ist eine häufige Erfahrung von Atheisten und Rationalisten, dass Menschen, die extremen Versionen von Religion anhängen, für gewöhnlich schwach im kritischen Denken sind. Insbesondere was ihren eigenen Glauben betrifft.
Psychologen erforschen das ganze menschliche Gehirn. Neurowissenschaftler betrachten die Funktionsweise des Hirns im Einzelnen, vor allem wie es die Bewegungen des Körpers steuert. Viele glauben, dass das Hirn überhaupt zu diesem Zweck entstanden ist und die Informationsverarbeitung von Sinnenseindrücken später kam, mitsamt allen anderen subtileren Funktionen des Gehirns. Ingenieure, die bessere Roboter bauen wollen, sehen dem Hirn Tricks ab. Eine der hervorstechendsten Eigenschaften des Gehirns ist die Art und Weise, wie es mit der Ungewissheit umgeht.
Unsere Sinne sind ungenau, und der Input, den sie ans Hirn senden, unterliegt einem »Rauschen« – zufälligen Fehlern. Die Funktionen des Hirns, das ja durch Evolution entstandene Wetware* [* »Wetware« meint alles Organische, das der Informationsverarbeitung dient. Ich schlage deutsch »Nasszeug« vor, aber das hat wohl ebenso wenig Chancen wie »Hartzeug« und »Weichzeug«. – Anm. d. Übers. ] ist statt sorgfältig
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