Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
dass sie die Ergebnisse der Bayes’schen Entscheidungstheorie emulieren – unsere Methode, mathematische Regeln zu formalisieren, die beschreiben, was immer die Natur gerade tut.
Allgemeiner können wir spekulieren, dass ähnliche neuronale Netzwerke unsere Stegreifurteile über gesellschaftliche oder politische Angelegenheiten steuern. Abermals gibt es zwei Bestandteile: den A-priori-Glauben, der sich schon im Gedächtnis befindet, und neue Daten. Der springende Punkt ist der, dass das Bayes’sche Modell zeigt, warum Glaube die Daten außer Kraft setzen kann. Wenn Sie sich sicher sind, dass die globale Erwärmung ein Schwindel ist – aus welchen Gründen auch immer, guten oder schlechten –, wird die Bayes’sche Entscheidungsmaschine in Ihrem Kopf neue Indizien für die globale Erwärmung zurückweisen, welche es auch sein mögen, und sich an Ihren bestehenden Glauben halten. Sie kann Sie sogar veranlassen, alle solche Indizien mit der Begründung zu verwerfen, sie müssten Teil des Schwindels sein. Wenn Sie keinen starken Glauben dafür oder dagegen haben, kann neues Tatsachenmaterial Sie veranlassen, Ihre Ansichten zu modifizieren. Wenn Sie von der globalen Erwärmung schon überzeugt sind, können Sie neue Indizien akzeptieren, selbst wenn sie fraglich sind.
Dasselbe gilt für religiöse Glaubensvorstellungen. Was wir die Epidemologie der Religion nennen könnten, zeigt uns, dass die meisten Menschen ihren Glauben von ihren Eltern, nahen Verwandten, Lehrern (soweit sie jener Konfession angehören) und Priestern übernehmen. Wenn sie ein Alter erreichen, in dem sie imstande sind, die Glaubenssätze zu hinterfragen, welche man ihnen beigebracht hat, haben sie möglicherweise ein so starkes Glaubenssystem aufgebaut, dass es gegen jeden gegenteiligen Beweis gefeit ist.
Wir verwenden also zwei Denkweisen, System 1 und 2. Das sieht verdächtig nach Benfords Unterscheidung aus. Stehen menschenbezogenes und universumbezogenes Denken zu den beiden Komponenten Bayes’scher Entscheidungen – Gedächtnis und Daten – in Beziehung? Es ist immer verlockend, Dichotomien aneinander auszurichten und anzunehmen, dass sie die Dinge auf dieselbe Weise unterteilen, doch im gegebenen Fall tun sie es nicht. Sowohl Gedächtnis als auch Daten sind Teil des raschen und groben intuitiven Entscheidungsprozesses; sie sind unterschiedliche Komponenten, die zusammen das Denken nach System 1 antreiben. System 2 ist anders, eine viel bewusstere, planmäßige Analyse, die das Tatsachenmaterial bewertet und versucht – nicht immer erfolgreich –, eingebaute Vorurteile außer Acht zu lassen. Es folgt nicht der Bayes’schen Methode.
Was sagt uns das über den Glauben? Zunächst erklärt es, warum Menschen überhaupt Glaubensvorstellungen haben. Sie sind ein unerlässlicher Teil des Denkens nach System 1, welches Überlebenswert hat, wenn rasche Urteile wesentlich sind. Andererseits zeigt es auch, dass dieser Typ des Denkens gravierende Fehler enthalten kann, wobei unser Glaube wichtige Daten außer Kraft setzt. Wenn kein Stegreifurteil benötigt wird, ist es besser, keins zu fällen. Vielmehr können wir das Denken nach System 2 verwenden – oft »rational« oder »analytisch« genannt – und den Daten erlauben, unsere Glaubensvorstellungen zu verändern, wenn diese nicht zur Wirklichkeit passen.
Es gibt auch die vertrackte Frage von Glaube gegen Unglaube. Ein UFO -Gläubiger könnte beispielsweise ins Feld führen, nicht an UFO s zu glauben, sei einfach eine andere Art Glaube. Nämlich der Glaube, dass es keine UFO s gibt. Wenn jedoch praktisch alle behaupteten »Beweise« für UFO s sich als irrig oder falsch erweisen, dann ist die gegenteilige Position überhaupt keine Glaubensfrage. Null Glaube an UFO s ist nicht dasselbe wie 100 Prozent Glaube an ihre Nichtexistenz. Null Glaube ist die Abwesenheit von Glauben, keine gegenteilige Form von Glauben. In ähnlicher Weise spannt die Wissenschaft einen Rahmen auf, in dem Menschen bewusst versuchen, die ihnen innewohnende Neigung zum Gebrauch von Denksystem 1 zu überwinden, weil sie wissen, dass solches Denken oft in die Irre führt. Wissenschaftler versuchen aktiv zu widerlegen, was ihrem Wunsch nach wahr sein sollte.
Das ist kein Glaubenssystem. Es ist ein Unglaubenssystem.
EINUNDZWANZIG
Die Schildkröte bewegt sich!
Marjorie atmete tief durch.
»Mein Name lautet Marjorie Daw, und ich bin Leiterin der Bezirksbibliothek von Four Farthings in London, England, äh, auf der Erde.
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