Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
zuordnen und ein rationales System liefern, um die Wahrscheinlichkeiten zu berechnen – ausgenommen die A-priori-Wahrscheinlichkeiten, die in die Formel eingesetzt werden, sich aber nicht aus ihr ergeben. Die Methode funktioniert also nach dem Prinzip der »Welten des Wenn«: Wenn die A-priori-Wahrscheinlichkeit so und so ist, dann ergeben sich als Folge zusätzlicher Daten die Wahrscheinlichkeiten so und so. Die Formel bestätigt keine einzige A-priori-Wahrscheinlichkeit, ihre Konsequenzen erlauben es uns jedoch, durch Vergleich mit Beobachtungen die Genauigkeit der A-priori-Wahrscheinlichkeit zu überprüfen. Schlussfolgerungen nach Bayes liefern oft bessere Ergebnisse als »rationalere« Methoden. Wir können zwar nicht sicher sein, ob wir die A-priori-Wahrscheinlichkeit richtig geschätzt haben, aber Raten kann immer noch besser sein als das völlige Ignorieren solcher Einflüsse.
In der herkömmlichen Statistik sollte eine untersuchte Aussage – eine Hypothese – akzeptiert (oder zumindest nicht verworfen) werden, wenn die Belege damit übereinstimmen. Bei dem Ansatz nach Bayes jedoch sollte trotz Indizien die Hypothese verworfen werden, wenn ihre A-priori-Wahrscheinlichkeit sehr gering ist. Aus denselben Gründen kann es sogar vernünftig sein, die angeblichen Belege zu verwerfen.
Nehmen wir zum Beispiel an, die Hypothese sei die Existenz von UFO s und der Beleg dafür ein Foto von einem UFO . Das Foto stützt die Hypothese, aber wenn Sie die Wahrscheinlichkeit einer Existenz von UFO s für sehr gering halten, dann ist der Beleg nicht überzeugend. Das Foto könnte zum Beispiel eine Fälschung sein; aber selbst wenn Sie nicht wissen, ob es echt ist, sind Sie berechtigt, die Hypothese zu verwerfen … es sei denn, natürlich, dass sich Ihre A-priori-Wahrscheinlichkeit als falsch erweist. Die Schlussfolgerung nach Bayes widerlegt also nicht die Existenz von UFO s, vielmehr ist sie die quantitative Entsprechung zu der Ansicht, dass »außerordentliche Behauptungen außerordentliches Beweismaterial erfordern«. Und ein Foto ist nicht außerordentlich genug.
Jedenfalls besagt die Theorie der Neurowissenschaften, dass das Gehirn funktioniert, indem es Glaubensvorstellungen über die Welt erzeugt. Dabei wird als Glaubensvorstellung das definiert, was das Gehirn über ein Ereignis oder Phänomen entscheidet; daher kann man schwerlich leugnen, dass das Gehirn bei seiner Funktion derlei Vorstellungen erzeugt. Die Theorie besagt jedoch etwas weniger Tautologisches: Sie behauptet, dass das Gehirn zwei getrennte Informationsquellen zusammenführt, Gedächtnis und Daten. Es bewertet nicht einfach nur eingehende Sinnesdaten als solche, sondern vergleicht sie mit dem Material, das bereits im Gedächtnis gespeichert ist.
Experimente, die Daniel Wolpert und seine Gruppe durchgeführt haben, stützen die Ansicht, dass die Ergebnisse dieser Vergleiche sehr eng mit der Bayes’schen Formel korrespondieren. Das Gehirn scheint eine wirksame und ziemlich akkurate Methode entwickelt zu haben, vorhandenes Wissen mit neuer Information zu kombinieren und dadurch das zu modifizieren, was es im Gedächtnis hält. Die Experimente betrachten, wie wir unsere Glieder bewegen, um eine Aufgabe zu erfüllen. Nehmen wir an, wir wollen eine Tasse Kaffee ergreifen. Es gibt viele Wege, das zu tun, und die meisten enden katastrophal. Wenn wir beispielsweise die Tasse zu stark kippen, läuft der Kaffee aus. Die Reaktion unserer Muskeln wird vom inneren Rauschen des motorischen Systems beeinflusst, und manche Strategien, um die Kaffeetasse zu ergreifen, sind weniger fehleranfällig als andere. Die optimalen Verhaltensweisen, wie sie die Bayes’sche Entscheidungstheorie liefert, stimmen im Allgemeinen mit den zu beobachtenden tatsächlichen Bewegungen überein.
Nochmals: Das heißt nicht, dass das Gehirn Berechnungen nach Bayes anstellt, wie ein Mathematiker es bewusst mit Papier und Bleistift täte. Im Gegenteil, das Gehirn hat neuronale Netzwerke entwickelt, die dieselben allgemeinen Ergebnisse hervorbringen. Die Wahlmöglichkeiten, die die Bayes’sche Entscheidungstheorie angibt, sind diejenigen, die am besten zur Realität passen, vorausgesetzt, dass Gedächtnis und Daten kombiniert werden. Diese Anpassung bietet einen Evolutionsvorteil – alles in allem funktionieren diese Wahlmöglichkeiten besser. Also sind die neuronalen Netzwerke, die wir verwenden, um zu gehen, zu rennen, Gegenstände zu halten oder zu werfen, so selektiert worden,
Weitere Kostenlose Bücher