Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
4,404 Milliarden Jahre alt. Viele verschiedene Beweisführungen laufen alle bei einem ähnlichen Wert bezüglich des Alters unseres Planeten zusammen. Deshalb sind die Wissenschaftler unerschütterlich überzeugt, dass entgegen den Behauptungen der Junge-Erde-Kreationisten ein zehntausend Jahre alter Planet völlig unvereinbar mit den Tatsachen ist und absolut keinen Sinn ergibt. Und sie sind nicht zu dieser Schlussfolgerung gelangt, weil sie es glauben oder weil sie nur bestätigendes Beweismaterial gesucht und alles andere ignoriert hätten, sondern indem sie zu beweisen versuchten, dass sie unrecht haben .
Kein anderes menschliches Denksystem ist derart selbstkritisch. Manche kommen nahe heran: die Philosophie, die Gesetzgebung. Auf Glauben beruhende Systeme verändern sich – meistens sehr langsam –, aber kaum ein System empfiehlt Selbstzweifel als wünschenswertes Werkzeug für Veränderung. In der Religion unterliegt der Zweifel oft einem Bann; es zählt, wie fest man an etwas glaubt . Das ist ziemlich offensichtlich eine menschenbezogene Sichtweise: Die Welt ist das, wovon wir aufrichtig und fest glauben, dass sie es sei. Die Wissenschaft ist eine universumbezogene Sichtweise und hat viele Male gezeigt, dass die Welt nicht ist, wovon wir aufrichtig und fest glauben, dass sie es sei.
Eins von Benfords Beispielen illustriert diesen Punkt: James Clerk Maxwells Entdeckung der elektromagnetischen Wellen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, einschließlich der Erkenntnis, dass das Licht selbst eine Welle ist. Menschenbezogenes Denken hätte diese Entdeckung nicht machen können, sondern vielmehr an der Möglichkeit gezweifelt. »Das Unvermögen der Dichter und Philosophen, einen Zusammenhang zwischen unsteten Wellenströmungen und der strahlenden Schönheit eines Sonnenuntergangs zu sehen, offenbarte eine Lücke in der menschlichen Vorstellungskraft, nicht in der Wirklichkeit«, schreibt Benford.
Ebenso sagt uns das Higgs-Boson, indem es das Standardmodell vervollständigt, dass es in unserem Universum viel mehr gibt, als es den Anschein hat. Das Standardmodell und ein Großteil der Forschung, die zu ihm geführt hat, gehen von der Idee aus, dass alles aus Atomen besteht, was an sich schon weit von der alltäglichen Erfahrung entfernt ist, und hebt diese Idee auf ein neues Niveau. Woraus bestehen Atome? Schon um die Frage zu stellen, muss man imstande sein, über die Dinge hinauszudenken, die Menschen für gewöhnlich angehen. Um sie zu beantworten, muss man diese Denkweise zu einer mächtigen Methode weiterentwickeln, mit der man herausfinden kann, wie sich das Universum verhält. Und man kommt nicht sehr weit, solange man nicht begreift, dass das etwas ganz anderes sein kann als die Art, wie es sich zu verhalten scheint , und von den Wünschen der Menschen, wie es sich verhalten sollte .
Diese Methode ist die Wissenschaft, und sie belegt die zweite von Benfords Kategorien: das Universum als Kontext für die Menschheit. Ebendaher entspringt ihre Stärke. Die Wissenschaft wird von Menschen gemacht, für Menschen, aber sie gibt sich größte Mühe, die üblichen menschlichen Denkmuster zu vermeiden, die auf uns bezogen sind. Das Universum funktioniert aber nicht so, wie wir es gern hätten, es geht seinen eigenen Weg, und wir folgen meistens. Nur dass wir, die wir ein Teil des Universums sind, uns so entwickelt haben, dass wir uns in unserer eigenen kleinen Ecke des Weltalls behaglich fühlen. Wir können mit kleinen Stücken des Universums in Wechselwirkung treten, und manchmal können wir sie nach unserem Willen ablenken. Aber das Universum existiert nicht, damit wir existieren. Vielmehr existieren wir, weil das Universum eben diese Art Universum ist.
Unser Sozialleben hingegen spielt sich fast ausschließlich in Benfords erster Kategorie ab: Menschen als Kontext des Universums. Wir haben Jahrtausende damit zugebracht, es so einzurichten, unsere Welt so umzumodeln, dass Dinge geschehen, weil wir es wollen . Zu kalt? Feuer machen. Gefährliche Raubtiere? Sie ausrotten. Jagd zu gefährlich? Nützliche Tiere domestizieren. Im Regen nass werden? Ein Haus mit Dach bauen. Zu dunkel? Licht einschalten. Das Higgs suchen? Siebeneinhalb Milliarden Euro ausgeben.
Im Ergebnis sind die meisten Dinge, denen wir in unserem Alltag begegnen, von Menschen gemacht oder ausgiebig verändert worden. Selbst die Landschaft ist durch menschliche Aktivität festgelegt worden. Die Hügel Britanniens sind durch
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