Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
haben Menschen seit Anbeginn der Zeiten getan –, sondern nach Beweismaterial, welches sie widerlegen könnte. Das ist ein neuer und ziemlich verwirrender Gedanke. Besagte Technik wird Wissenschaft genannt. Sie ersetzt blinden Glauben durch sorgfältig auf ein Ziel ausgerichteten Zweifel. In ihrer gegenwärtigen Form existiert sie erst seit ein paar Jahrhunderten, obwohl Vorläufer etliche Tausend Jahre zurückreichen. In gewisser Hinsicht ist »wissen« ein zu starkes Wort, denn Wissenschaftler betrachten alles Wissen als vorläufig. Doch was wir dank der Wissenschaft »wissen«, ruht auf erheblich sichereren Fundamenten als alles andere, was wir zu wissen behaupten, denn diese Fundamente haben jedem Zerstörungsversuch widerstanden.
Dank der Wissenschaft wissen wir, wie groß und wie alt die Erde ist. Wir wissen, wie groß und wie alt das Sonnensystem ist. Wir wissen, wie groß und wie alt der zu beobachtende Teil des Universums ist. Wir wissen, dass die Temperatur im Mittelpunkt der Sonne etwa 15 Millionen Grad Celsius beträgt. Wir wissen, dass sich im Innern der Erde ein annähernd kugelförmiger Kern aus geschmolzenem Eisen befindet. Wir wissen, dass die Erde ungefähr – wenn auch nicht exakt – Kugelgestalt hat und dass (mit den passenden Einschränkungen betreffs beweglicher Bezugssysteme) unser Planet um die Sonne kreist, anstatt fest im Raum zu stehen, während die Sonne ihn umkreist. Wir wissen, dass viele Eigenschaften der Gestalt eines Tieres in erheblichem Maß von einem langen, komplizierten Molekül bestimmt werden, das im Kern der Körperzellen lebt. Wir wissen, dass Bakterien und Viren die meisten Krankheiten auf der Welt hervorrufen. Wir wissen, dass alles aus siebzehn Elementarteilchen besteht.
»Wissen« ist eins von diesen einfachen, aber schwierigen Wörtern. Wie können wir wissen – um ein typisches Beispiel zu nehmen –, wie hoch die Temperatur im Mittelpunkt der Sonne ist? Ist jemand dort gewesen, um es festzustellen?
Wohl kaum. Wenn die Wissenschaftler in Bezug auf die Temperatur in der Sonnenmitte recht haben, dann könnte niemand, der plötzlich dorthin versetzt würde, eine Nanosekunde lang überleben. Man würde verbrannt werden, lange bevor man die Sonne auch nur erreicht. Aus demselben Grund haben wir keine Messgeräte ins Sonneninnere geschickt. Wie also können wir wissen, wie heiß es im Zentrum der Sonne ist, wenn kein Mensch und kein Gerät hingeschickt wurden, um es festzustellen?
Wir wissen derlei Dinge, weil die Wissenschaft nicht darauf beschränkt ist, die Welt nur zu beobachten . Sonst wären wir wieder mitten im menschenbezogenen Bereich. Die Macht der Wissenschaft beruht auf der Möglichkeit, über die Welt nachzudenken wie auch sie zu erfahren. Das wichtigste Werkzeug der Wissenschaft ist logisches Schlussfolgern: Eigenschaften der Welt aus einer Kombination von Beobachtung, Experiment und Theorie abzuleiten . Die Mathematik spielt dabei seit Langem eine Schlüsselrolle, denn sie ist gegenwärtig unser bestes Werkzeug, um quantitative Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die meisten von uns wissen im Großen und Ganzen, was eine Beobachtung ist: Man sieht sich etwas an, misst ein paar Zahlen. Mit Theorien ist es vertrackter. Verwirrenderweise hat das Wort »Theorie« zwei verschiedene Bedeutungen. Die eine lautet: »eine Idee von der Welt, die dargelegt, aber noch nicht hinreichend bestätigt worden ist, als dass wir großes Vertrauen in ihre Gültigkeit setzen könnten«. Die andere Bedeutung ist: »ein ausgedehnter, in sich verbundener Komplex von Ideen, die zahllose unabhängige Versuche, sie zu widerlegen, überstanden haben«. Das sind die Theorien, die die wissenschaftliche Weltsicht ausmachen. Jeder, der Ihnen einzureden versucht, die Evolution sei »nur eine Theorie«, verwechselt den zweiten Gebrauch des Wortes mit dem ersten, sei es mit Täuschungsabsicht, sei es aus Unwissenheit.
Es gibt ein schlaues Wort für die erste Bedeutung: »Hypothese«. Wenige Leute verwenden es tatsächlich, weil es immer ein wenig pedantisch klingt, obwohl »hypothetisch« öfter vorkommt. Das gewöhnliche Wort, welches der zweiten Bedeutung am nächsten kommt, ist »Fakt«, doch es hat einen Beiklang von Endgültigkeit, der sich schlecht mit der Funktionsweise der Wissenschaft verträgt. In der Wissenschaft sind Fakten immer vorläufig. Gut etablierte Fakten – gut entwickelte und gestützte Theorien – sind allerdings nicht allzu vorläufig. Es bedarf einer Menge
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