Das juengste Gericht
Dunkel. Ellen Krawinckel schüttelte den Kopf. »Ich will es lieber hinter mich bringen.« Sie holte tief Luft und nahm noch einen Schluck Wasser. »Im ersten Moment war ich völlig vor den Kopf gestoßen. Fieberhaft überlegte ich, wie ich mit ihr umgehen sollte. Mir war augenblicklich klar geworden, was die Drohungen Sunitas gegen Phillip und mich bedeuteten. Wenn sie ihn bei der Polizei anzeigen oder mich wegen der Affäre mit Kellermann bei ihm verpfeifen würde, hätte das für mich den Rückfall in die Gosse bedeutet. Wo wäre ich geblieben? Mit keiner Faser dachte sie an die Auswirkungen für mich. Ich war ihr gleichgültig. Sie war bereit, alles zu zerstören, was ich mir mühsam auf einem langen Leidensweg aufgebaut hatte.«
Schultz kratzte sich im Bart. »In Ihrer Erklärung der Situation kommt sehr häufig das Wort ›Ich‹ vor. Hatten Sie denn kein Verständnis für die Lage Sunitas, in die sie immerhin unverschuldet geraten war?«
Ellen Krawinckels Gesicht geriet wieder zur hässlichen Fratze.
»Das können Sie nur fragen, weil Sie Sunita nicht kannten. Sie war ein berechnendes Biest. Heute denke ich oft, dass sie die Beziehung mit meinem Mann bewusst selbst eingefädelt hat, um daraus den größtmöglichen Profit zu ziehen.«
Schultz zog die Nase hoch. »Weiter kommen wir an dieser Stelle nicht. Sagen Sie uns bitte, wie Ihr Gespräch mit Sunita zu Ende ging? Haben Sie ihr versprochen, ihr zu helfen?«
»Sie brauchte keine Hilfe. Aber lassen wir das. Ich ging zum Schein auf sie ein. Gleichzeitig fragte ich sie, wo ich sie in nächster Zeit unauffällig erreichen könne. In diesem Zusammenhang erzählte sie mir, sie habe am nächsten Tag schulfrei. Wir verabredeten uns. Sie notierte sich den Termin auf einem Zettel.« Ellen Krawinckel straffte ihren Körper. »Auch daran können Sie sehen, wie berechnend sie vorging. Sie zeigte mir triumphierend die andere Seite des Zettels. Darauf stand irgendetwas, dass jemand alles auffliegen lassen wolle. Ausdrücklich drohte sie damit, dass ihr Schulkamerad Dubho offenbar meinen Mann wegen seiner sexuellen Verfehlungen in Verdacht hätte.« Sie zuckte die Schultern. »Jedenfalls wollte Sunita am nächsten Morgen in die Innenstadt fahren. Irgendetwas sei mit ihrem Handy nicht in Ordnung. Sie wolle den Telekom-Shop auf der Zeil aufsuchen. Sie erzählte mir, dass ihr Adoptivvater sie mit in die Stadt nehmen werde. Er habe etwas an der Konstablerwache zu erledigen. Die Uhrzeit sei zwar für sie ein wenig zu früh, weil die Läden noch geschlossen hätten. Das sei allerdings kein Problem. Sie werde bis zur Öffnung des Handy-Ladens einen kleinen Schaufensterbummel machen. Die genaue Beschreibung ermöglichte mir, am nächsten Morgen etwas früher als Sunita in der Stadt zu sein und mich in der Nähe des Telefonladens hinter einer Ecke zu verstecken. Sie kam wie angekündigt.«
»Hatten Sie schon zu diesem Zeitpunkt den Entschluss gefasst, Sunita zu töten? Was hätten Sie getan, wenn es Ihnen misslungen wäre, Sunitas Spur aufzunehmen?«, fragte Schultz.
Als Ellen Krawinckel antworten wollte, stoppte sie Rechtsanwalt Dunkel. »Bevor meine Mandantin in die Einzelheiten geht, will ich zu Ihrer ersten Frage erwähnen, dass wir vorhin in den Haftzellen diesen Punkt schon vertieft haben. Bedenken Sie bitte, dass Frau Krawinckel unter dem Schock der Drohung dieses jungen Mädchens stand. Es dürfte in der Logik liegen, dass sie zu diesem frühen Zeitpunkt noch keine klare Vorstellung der weiteren Abläufe entwickeln konnte.«
Schultz zog eine Augenbraue hoch. »Was ist mit meiner zweiten Frage?«
Wieder kam das kalte Lachen von Ellen Krawinckel. »Kein Problem. Dann hätte ich unser geplantes Treffen in einer unbewohnten Gegend vereinbart und erklärt, dass niemand uns beobachten dürfe. Das hätte sie bestimmt geglaubt. Es war nicht nötig.«
Doktor Dunkel faltete die Hände über dem Bauch. »Was die Richtigkeit meiner vorherigen Bemerkung nicht berührt.«
»Schildern Sie jetzt bitte den weiteren Ablauf, nachdem Sie Sunita auf der Zeil gesehen hatten«, sagte Schultz.
»Ich folgte ihr. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, sie hätte mich entdeckt. Doch sie ging weiter. Schließlich nahm sie einen der beiden Fahrstühle in der Zeilgalerie und fuhr hinauf. Ich hatte keine Mühe, ihr zu folgen. Zu dieser Zeit benutzte noch niemand die Aufzüge, da die kleinen Läden noch alle geschlossen waren. Als ich schon meinte, dass ich sie verloren hätte, sah ich
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