Das juengste Gericht
gesagt, dass sie ihn nicht leiden kann. Ihr Vater würde sie drängen, nett zu ihm zu sein. Sunita wollte nichts von ihm erzählen, weil er so eklig sei.« Schreiner zog beide Augenbrauen in die Höhe. »Eklig? Wieso eklig? Hat sie dazu etwas Genaueres gesagt?«
Dubho schmunzelte und drehte wieder mit dem Zeigefinger Kreise auf seinem Sweatshirt. »Sie meinte, der Mann würde sich wie eine Frau benehmen.«
»Wieso wie eine Frau?«, fragte Schreiner.
»Halt weibisch und so. Er würde sich immer übertrieben pflegen. Ich weiß nicht mehr genau, ob sie erzählt hat, dass er sich schminkt. Irgendetwas in dieser Richtung hat sie behauptet.«
Schreiner kniff die Augen zusammen. »Könnte sie auch etwas anderes gemeint haben, zum Beispiel ...« Er grübelte, reckte sich zu voller Größe auf und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Lassen wir das. Eine abwegige Idee von mir.«
Köhler kaute auf seiner Unterlippe. »Hat sie sonst gar nichts von ihm erzählt? Nichts darüber, was sie gemeinsam unternommen haben?«
»Nein, das war alles. Sie hat von sich aus nichts mehr gesagt, und ich habe nicht gefragt. Das tut man nicht.«
»Du weißt ganz bestimmt, dass es enorm wichtig ist herauszufinden, wer deine Freundin über das Geländer gestoßen hat«, sagte Köhler. »Das schaffen wir allerdings nur, wenn wir ganz sichere, genaue Angaben haben. Überlege noch einmal ganz genau, ob der Mann auf dem Foto wirklich derjenige ist, der öfters vor der Schule auf Sunita wartete.«
Dubho legte die Stirn in Falten. »Das habe ich doch schon gesagt. Ich bin mir nicht ganz sicher.«
Schreiner schubste Köhler an. »Lass mal, Günter. Wir können bestimmt noch mehr Aufnahmen besorgen. Vielleicht sogar in Farbe. Die kann sich der Junge in Ruhe anschauen. Wir sollten das jetzt nicht zementieren.«
Frau Namgyal hielt den Kopf leicht schräg und schaute die beiden Beamten an. »Stimmt etwas nicht? Müsste mein Sohn den Mann kennen? Er sagt bestimmt nicht mit Absicht die Unwahrheit.«
Köhler wehrte ab. »Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Sie müssen nur verstehen, dass wir bei solchen Taten besonders gründlich sein müssen. Ihr Sohn gibt sich große Mühe und hat uns schon viel geholfen.«
Schreiner warf seinem Kollegen einen strafenden Blick zu.
»Wir dürfen Ihnen jetzt natürlich noch keine Einzelheiten erzählen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit müssen wir mit Ihrem Sohn noch eine förmliche Vernehmung machen, schriftlich bei uns im Büro. Da darf er nicht durch unsere Hinweise voreingenommen sein. Im Augenblick möchte ich nur noch von Dubho wissen, ob er uns das große Auto ein wenig näher beschreiben kann.«
Dubho kratzte sich am Kopf. Er fröstelte und rieb sich die Oberarme. »Es war auf jeden Fall schwarz mit silbergrau. Die Marke ist mir noch nicht eingefallen, obwohl Sunita sie einmal genannt hatte. Ich weiß nur, dass die Kiste so groß war, dass Sunita einsteigen konnte, ohne sich zu bücken.«
Schreiner musste lachen. »Vielleicht ein Rolls-Royce?«
Dubho schüttelte den Kopf und rutschte auf seinem Platz hin und her. »Bedeutet das jetzt, dass dieser Mann Sunita umgebracht hat?«
Schreiner warf die Hände zum Himmel. »Um Gottes willen, nein! So darfst du unsere Fragen nicht verstehen. Schau mal, das ist wie bei einem Rätselspiel. Jeden Tag gibt es ein paar Informationen mehr. Ständig denken wir darüber nach und überlegen, wie alles gewesen sein könnte. Natürlich irren wir uns manchmal und fangen wieder von vorn an. Irgendwann haben wir dann so viele Bausteinchen zusammen, dass wir beweisen können, wie alles war. Das, was du uns gesagt hast, war eines dieser Bausteinchen. Verstehst du? Wir brauchen ganz viele Menschen, die Sunita gekannt haben. Dann können wir uns bald ein Bild machen. Dabei hast du uns sehr geholfen. Wir können jetzt zum Beispiel weitere Erkundigungen über diesen Mann einholen, etwa bei Sunitas Vater oder in der Schule. Man wird uns sicher genauso unterstützen, wie du das gemacht hast. Übrigens wäre es schön, wenn du über unser heutiges Gespräch vorerst mit niemand sprichst. Weißt du, die Leute wissen nicht so viel wie wir hier und reden dann nur dummes Zeug.«
Dubho zeigte wieder Erleichterung und nickte. »Das tue ich bestimmt nicht.«
Frau Namgyal legte die Hände ineinander und schaute zu Köhler hin. »Dubho ist so erzogen, dass er Dinge für sich behalten kann. Sie werden diesem Mann nicht sagen, dass mein Sohn ihn beschrieben hat, falls sie auf seine Spur
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