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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Scheu
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kommen?«
    Köhler stand auf und schüttelte den Kopf. »Da können Sie ganz beruhigt sein.« Er sah Schreiner an und sagte: »Gehen wir. Weiter kommen wir heute nicht.«
    »Einen Moment noch«, wehrte Schreiner mit erhobener Hand ab, worauf Köhler sich wieder hinsetzte. »Frau Namgyal, Sie haben vorhin gesagt, dass Sunita genau gewusst hätte, was sie wollte, und es deshalb ein Fehler gewesen wäre, sie zu unterschätzen. Was meinten Sie damit? Können Sie das anhand eines Beispiels beschreiben?«
    »Ich sage das jetzt mit meinen Worten, nicht mit Sunitas.« Sie griff sich mit der Hand an die Schläfe und konzentrierte sich.
    »Sunita sollte auf Wunsch ihrer christlich orientierten Klassenlehrerin am Religionsunterricht teilnehmen. Das trieb sie wegen ihrer in Indien genossenen buddhistischen Erziehung in einen Konflikt. Zunächst besuchte sie die Religionsstunden, um in Ruhe darüber nachzudenken, wie sie sich am besten verhalten sollte. Irgendwann hatte sie die aus ihrer Sicht richtige Lösung gefunden. Ihr war aufgefallen, dass die Lehrerin im Unterricht großen Wert auf Harmonie legte. Eines Tages erklärte sie ihr, dass sie keinen Gefallen an dem Unterricht finde und ihm besser künftig fernbleibe. Anderenfalls könne jede Religionsstunde ein Problem werden.«
    »Hat Sunita Ihnen diese Geschichte erzählt und erläutert, wie das Problem aussehen sollte?«, fragte Schreiner.
    »Nein. Ich sagte schon, dass sie andererseits sehr zurückhaltend war. Sie hat es eines Tages mit stolzem Lächeln Dubho berichtet. Mehr hat sie nicht gesagt. Es war nicht ihre Art, auf Nachfragen weitere Erklärungen abzugeben.«
    Dubho nickte nur und sah keinen Anlass zu einer Ergänzung. Schreiner blieb noch einen Augenblick sitzen und betrachtete Dubho, das Kinn in die linke Hand gestützt. Anschließend gab er Köhler ein Zeichen, sich zu erheben.
    Die Beamten bedankten und verabschiedeten sich. Schreiner streichelte Dubho über die Haare. Dubho schüttelte sich. »Das tut man in Asien nicht. Das bringt Unglück.«
    Frau Namgyal senkte den Kopf. »Das stimmt!«
    Schreiner zückte seine Brieftasche und entnahm ihr eine Visitenkarte. Er legte sie auf ein Tischchen im Flur. »Falls Dubho noch etwas einfällt, können Sie mich gerne anrufen.«
    Als die Beamten das Haus verlassen hatten, schubste Köhler seinen Kollegen an. »Du warst doch schon mehrfach im Urlaub in Asien. Hast du dort nicht gelernt, dass man Kindern nicht über die Haare fährt?«
    »Selbstverständlich. Weil ich es wusste, habe ich es ja getan. Ich wollte ihm Angst machen. Irgendetwas stimmt mit dem Burschen nicht. Hast du nicht gemerkt, wie viel Angst der hatte und wie verlegen er dauernd war? Die gesenkten Blicke, das Kauen an den Fingernägeln und die Zurückhaltung bei den Fragen zu seinen Empfindungen für Sunita? Der weiß viel mehr, als er zugegeben hat.«

16. Kapitel
    Rainer Wegmann warf mit einer ruckartigen Kopfbewegung seine blond gefärbten Dauerwellen nach hinten und klatschte in die Hände. »Schluss jetzt! Feierabend für heute! Wir müssen ausnahmsweise pünktlich aufhören. Ich muss noch zu einem wichtigen Termin.«
    Die fünf muskulösen Männer in Sportbekleidung, die eben noch in der heruntergekommenen Halle mit dem abgeblätterten Putz die Sandsäcke und Punchingballs bearbeitet und an den umstehenden Bodybuilding-Geräten trainiert hatten, beendeten ihre Übungen und zogen sich in die Umkleidekabine zurück. Wegmann hielt den letzten der Männer auf und drückte ihm einen Schlüssel in die Hand. »Du machst zu und wirfst den Schlüssel in den Briefkasten, Robert. Ich haue ab.«
    Ein Blick auf seine Rolex zeigte Wegmann, dass es fast 19:00 Uhr war. Er ließ sich auf den Fahrersitz seines fliederfarbenen Jaguars fallen und fuhr von Fechenheim aus über die Hanauer Landstraße in die Frankfurter Innenstadt. Freitags war um diese Zeit nicht mehr viel auf der Straße los, weil der Berufsverkehr viel früher als an den sonstigen Tagen einsetzte.
    In der Nähe des Eschenheimer Turms, eines Überbleibsels der alten Stadtmauer, fuhr er ins Parkhaus. Im fünften Stock fand er einen freien Einstellplatz. Er nahm keine Notiz von der geöffneten Fahrstuhltür, sondern bevorzugte die Treppen bis zum Erdgeschoss. Die Schiller-Passage, ein stilvoll restauriertes Altbauensemble, das Frankfurt der Planung eines später verurteilten Wirtschaftsstraftäters verdankte, ließ er links liegen. Er ging zur Hochstraße und warf einen Blick auf das denkmalgeschützte

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