Das juengste Gericht
eine Zigarette ansteckte. »Du kannst es mir glauben oder nicht. Ich weiß es nicht. Das Luder hat die Katze nicht aus dem Sack gelassen. Du weißt ja, wie sie sein kann. Sie
meinte, dass sie mich gut dafür bezahlen würde. Das müsse für meine Motivation ausreichen.«
Der alte Wegmann lachte. »Das ist in der Tat entscheidend. Trotzdem würde mich interessieren, was dahintersteckt.«
»Mich auch. Das ist alles sehr geheimnisvoll. Vielleicht hat es etwas mit ihrem Göttergatten zu tun. Ellens Mann hat jeden Tag ausgesprochen merkwürdige Kontakte in alle Richtungen. Wichtige Leute. Mit viel Geld. Ich habe schon daran gedacht, dass er von jemand erpresst wird und nicht zahlen will. Reiche Leute sind geizig, sonst hätten sie kein Vermögen gemacht.«
»Seltsam! Es wäre gut, wenn wir mehr wüssten. Krawinckel könnte unser goldenes Kalb werden. Du kennst die Verhältnisse besser als ich und bist klug und gerissen. Streng dein Gehirn etwas an und nimm das Schwesterchen in die Mangel. Dir fällt bestimmt ein, welches kleine Geheimnis zum Schlüssel unseres künftigen Reichtums werden könnte.«
Rainer Wegmann zuckte mit den Schultern. »Ich habe mir das Hirn zermartert. Es fällt mir nichts ein. Dieses Haus steckt voller Merkwürdigkeiten. Da ist noch diese verblödete Halbschwester von Krawinckel, an der er mit einer Affenliebe hängt. Sie ist wirklich hübsch, aber das ist auch alles. Kurzum, ich weiß nicht, welches Spiel gespielt wird. Wir brauchen Geduld. Das Schwesterchen erwische ich noch auf dem falschen Fuß.«
»Irgendwie traue ich dir nicht. Was verschweigst du mir? Hältst du mich wirklich in meinem Alter für den geeigneten Partner, um deinen Auftrag zu erfüllen? Der Kerl, mit dem wir uns angeblich befassen wollen, könnte sich wehren. Oder gibt es einen anderen Grund, warum du mich dabeihaben willst? Soll ich vielleicht hinterher geopfert werden und die Sache auslöffeln?«
»Ich bitte dich. Die Woche über sehe ich dich im Box-Studio. Du bist schnell und hast Kraft wie ein Ochse. Im Krisenfall reicht das allemal.«
Der alte Wegmann wiegte den Kopf hin und her, trank seinen doppelten Cognac aus und schnipste mit den Fingern nach der Kellnerin. Das Thaimädchen sah vom Tresen aus auf und wollte herbeieilen. Wegmann senior winkte ab und deutete auf die beiden leeren Gläser. Nachdem die Bedienung ihm zugenickt hatte, wandte er sich wieder seinem Sohn zu. »Weiß deine Schwester, dass du diesen Auftrag mit mir erledigen willst?«
»Natürlich nicht. Sie hasst und fürchtet dich. Jedenfalls will sie nichts mit dir zu tun haben. Nach ihrer Meinung hast du Mutter auf dem Gewissen.«
Der alte Wegmann tippte mit dem Zeigefinger an seine Stirn.
»Blödsinn. Sie müsste wissen, wie sich alles abgespielt hat. Du weißt, dass ich nicht gern von alten Zeiten rede. Das ist vorbei. Trotzdem wurmt es mich, dass deine Schwester so ungerecht urteilt. Was hätte ich denn anders machen sollen? Mein Vater hatte sich in den schweren Aufbaujahren nach dem Krieg einfach davongemacht. Er hatte die Nase von Frau und Kindern voll und wollte das Wirtschaftswunder alleine oder mit anderen Menschen erleben. Damals war er in guter Stellung. Er hatte Prokura bei einer großen Frankfurter Gesellschaft, die unter anderem mit dem Bau von Verhüttungsanlagen im Ausland ihr Geld verdiente. Er betreute die Bauvorhaben. Überall. Eines Tages ist er einfach nicht mehr wiedergekommen.«
Die kleine Thaifrau brachte die Getränke. Der alte Wegmann hielt sie an der Hand fest, trank in einem Zug seinen doppelten Cognac aus und streckte ihr nickend das Glas entgegen. Dann legte er seine Hand auf die seines Sohnes. »So! Wir sind schließlich nicht zum Spaß hier. Wo war ich stehen geblieben? Ja, meine Mutter blieb mit uns Kindern zurück, ohne Geld. Sie flickte Kleider in einer Großwäscherei. Das reichte hinten und vorne nicht. Ich war der Älteste und musste helfen. Im Lebensmittelladen bettelte ich, damit wir Kredit bekamen. Es war mir furchtbar peinlich, anschreiben zu lassen. Immer gab es Diskussionen vor all den anderen Kunden. Nachts ging ich dann aufs Land und klaute bei den Bauern Kartoffeln und Gemüse. Alles für Mutter und die Geschwister.«
Rainer Wegmanns tupfte sich über seine blonden Locken. Seine Gesichtszüge versteinerten. »So hast du noch nie mit mir gesprochen, Paps.«
Wegmann senior wurde der nächste Cognac serviert. Er nippte nur daran. »Weil mir die selbstgerechte Art deiner Schwester auf den Nerv geht.
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