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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Scheu
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Blicke wanderten zu den beiden Beamten. Er ging auf sie zu, begrüßte sie und setzte sich in kerzengerader Haltung neben seine Mutter.
    Schreiner musterte Dubho und strich sich durch den Bart. »Du bist also Dubho?«
    Der Junge sah zu Boden und nickte. »Ich werde allerdings auch Khema genannt. Das ist mein buddhistischer Name, den ich nach meinem Klosteraufenthalt bekommen habe. Sie dürfen aber ruhig Dubho zu mir sagen.«
    Schreiner nahm sich vor, den Hintergrund dieser buddhistischen Namensgebungen später im Internet abzufragen. Mit aufmerksamer Miene schaute er Dubho an. »Vorgestern ist einem Mädchen etwas sehr Schlimmes passiert. Es ist von einem Hochhaus gestürzt. An den Verletzungen ist es gestorben. Wir müssen leider annehmen, dass jemand das Mädchen gestoßen hat.«
    Dubho nickte mehrmals. Frau Namgyal machte eine mäßigende Handbewegung, die er nicht beachtete. Mit seinen weit geöffneten dunkelbraunen Augen fixierte er Schreiner. Dann richtete er seinen Blick zu Boden. Er kaute kurz an seinem Daumennagel. »Das weiß ich schon aus der Schule. Außerdem hat mir meine Mutter alles erzählt. Ich weiß auch, dass Sie Kriminalbeamte sind.«
    Köhler lachte. »Das stimmt. Deshalb wollen wir herauskriegen, wer das getan hat. Du kannst uns dabei vielleicht helfen. Das Mädchen hieß Sunita Beuchert. Kanntest du sie?«
    Wieder nickte Dhubo. Er gab seine steife Haltung nicht auf, sondern rutschte auf dem Sitz nach vorn, legte die Oberarme auf die Knie und starrte wieder zu Boden. Kleine Schweißperlen zeichneten sich auf seiner Stirn ab. »Sunita war meine Freundin. Nicht dass wir zusammen gingen. Wir verstanden uns halt gut.« Schreiner umklammerte die Zigarettenschachtel in seiner Tasche und seufzte. »Hätte Sunita uns dasselbe geantwortet,
    wenn wir sie nach dir gefragt hätten? Was meinst du?«
    Durch den Oberkörper von Dubho ging ein Zucken. Wieder kaute er an den Nägeln. Seine Haltung blieb verkrampft. »Ich denke schon. Warum fragen Sie mich das?«
    »Weil es wichtig sein kann, wie die Menschen, die Sunita kannten, tatsächlich und gefühlsmäßig zueinander standen. Gab es vielleicht jemand, der Sunita nicht so gut leiden konnte wie du?« Dubhos Miene hellte sich auf. Er überlegte einen Moment und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kenne niemand. Es gab keinen Grund dafür. Sunita war zu allen freundlich. Sie war beliebt.« Frau Namgyal hob die Hand und sah zu Köhler hin. »Sie war ein stilles Mädchen, sehr zurückhaltend. Allerdings verstand sie es auch, sich zu wehren. Sie wusste ziemlich genau, was sie wollte. Es wäre ein Fehler gewesen, sie wegen ihrer Schweigsamkeit und ihrer Distanziertheit zu unterschätzen. Zu unserer Familie hat sie regelmäßig Kontakt gehalten. Häufiger aß sie mit uns zu Mittag und hat anschließend noch mit Dubho zusammengesessen und geplaudert. Die beiden waren wie Geschwister.«
    Köhler sah Dubho an. »Worüber habt ihr euch denn so unterhalten?«
    Der Körper von Dubho versteifte sich wieder. Er wischte sich über Stirn und Augen und biss erneut auf seinen Daumennagel. Dann legte er die Hand vor den Mund und zögerte. »Über alles Mögliche. Über die Schule, die Lehrer, andere Schüler. Manchmal auch über Indien. Sunita hat vor allem viel vom Malen erzählt. Es war ihre Lieblingsbeschäftigung. Sie wollte später einmal Malerin werden.«
    »Sie konnte wunderschön malen«, ergänzte Frau Namgyal.
    »Ein besonderes Talent.«
    Schreiner kratzte sich in den Haaren und zeigte mit dem Finger auf Dubho. »Gab es irgendeine Sache, über die ihr am liebsten gesprochen habt? Hat dir Sunita vielleicht sogar irgendwelche Geheimnisse anvertraut?«
    »Es gab nichts Besonderes. Nur das, was ich schon gesagt habe.«
    »Gar nichts, worüber man nur mit seinem – sagen wir mal – besten Freund redet?«, hakte Schreiner nach.
    Dubhos Wangen begannen unter seiner braunen Haut zu glühen. Er schaute unter sich und drehte mit seinem Zeigefinger Kreise auf seinem roten Sweatshirt. »Sunita hatte kein Interesse an mir als Junge, wenn Sie das damit meinen. Ich habe schon gesagt, dass wir nicht zusammen gingen. Wir haben manchmal über unsere Religion geredet, falls Sie darauf hinauswollen. Mit unseren Mitschülern konnten wir darüber nicht sprechen. Es interessierte sie nicht. Außerdem verstanden sie nichts davon. Wir haben es gar nicht erst probiert.«
    Schreiner überlegte. Wieder streckte er den Zeigefinger in Dubhos Richtung aus. »Wie war es umgekehrt? Hättest du dir

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