Das juengste Gericht
Natürlich habe ich irgendwann angefangen, zu viel zu trinken. Wie soll man dieses Elend sonst ertragen. Ich wollte wenigstens gelegentlich abschalten und vergessen können. Mein Leben lief ab wie im Rhönrad. Von morgens bis abends kümmerte ich mich um Mutter und Geschwister, ums blanke Überleben. Bis ich später arbeitslos wurde. Übrigens unverschuldet.«
Die Bar füllte sich mit einer Gruppe junger Frauen. Rainer Wegmann gefiel es, dass die jungen Damen ihn anschauten, weil er dies seiner unvergleichlichen Ausstrahlung und seinem modischen Erscheinungsbild zuschrieb. Er setzte sein blendendes Lächeln auf und zog keine nachteiligen Schlüsse daraus, dass die Neuankömmlinge durchwegs abweisende Gesichtszüge auflegten und wegschauten. Seine Laune war bestens. Plötzlich besann er sich wieder auf das von seinem Vater angeschnittene und noch nicht beendete Thema. Er setzte eine ernste Miene auf, ergriff sein Glas und wandte sich seinem Vater zu. »Prost, Alter. Lass alles raus.«
Der alte Wegmann stieß mit ihm an und leerte seinen Cognac.
»Zum Wohl, mein Sohn. Ich mache es kurz, weil ich selbst keine Lust habe, an einem überholten Thema hängen zu bleiben. Die Dinge sind sowieso nicht mehr zu ändern. Außerdem hatte ich dann irgendwann einmal Glück im Leben. Nach dem Tod meiner Mutter dauerte es nicht lange, bis ich aus dem Ausland die Nachricht vom Tod meines Vaters erhielt. Kurzum, ich hatte geerbt. Nicht viel, aber es ermöglichte mir die Aufnahme einer bürgerlichen Existenz. Ich kümmerte mich um einen Beruf, teilte mit den Geschwistern und heiratete eure Mutter. Das hätte ich besser nicht getan.«
Das Lachen von Rainer Wegmann wirkte künstlich. »Das sieht Ellen anders. Aber das hatten wir schon.«
»Nein, das hatten wir noch nicht. Eure Mutter war ..., na ja, wie soll ich sagen? Die erste Zeit war ich glücklich. Endlich hatte ich das, was ich mir immer gewünscht hatte. Eine intakte Familie.«
»Ellen meint, du hättest sie schikaniert und deine größere Lebenserfahrung ausgespielt.«
»Unfug! Sie betrog mich mit einem amerikanischen Soldaten, der hier mit seiner Familie, Frau und zwei Kindern, stationiert war. Er betete ihr das alte Lied von der kaputten Ehe vor und beteuerte, er werde sich unverzüglich scheiden lassen und sie mit in die USA nehmen. Anfangs erfüllte er ihr alle Wünsche und gab immer neue Versprechungen ab. Ein neues Leben mit vielen Träumen. Eine große Farm mit tausend Rindviechern. Das einzige Rindvieh, das es wohl gab, war eure Mutter. Nachdem der Cowboy lange genug seinen Spaß mit ihr gehabt hatte, kehrte er bei Nacht und Nebel mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten zurück. Nun stand sie da, eure Mutter.«
»Du warst nicht bereit, ihr zu verzeihen?«
»Sie fragte mich nicht einmal danach. Selbst wenn ich es gewollt hätte, hatte ich keine Chance. Wenige Tage später wurde sie gefunden. Ihre Leiche war in der Griesheimer Schleuse hängen geblieben.« Wegmann senior erhob seinen Cognacschwenker. »Jetzt sage ich Prost, mein Sohn.«
Rainer Wegmann nickte seinem Vater zu und trank sein Glas leer. Er steckte sich eine Zigarette an und begann, in seinem Sessel hin und her zu rutschen. »Was hältst du davon, wenn ich dir jetzt noch einen Cognac ausgebe und mich anschließend an die Bar setze. Du findest sicher alleine nach Hause. Ich habe den starken Eindruck, dass sich das kleine Thailuder da drüben in mich verlieben könnte, zumindest für heute Nacht.«
Der alte Wegmann lachte. Das diabolische Grinsen, das sein Sohn aufsetzte, als er sich in Richtung Tresen entfernte, sah er nicht mehr.
17. Kapitel
Rupa hatte sich zu derselben Zeit ins Badezimmer des Ferienhauses in Freiensteinau zurückgezogen, ohne dies gegenüber Phillip Krawinckel zu erwähnen. Sie wollte sich sammeln, sich selbst gehören. Wie beim Meditieren.
Jetzt hast du den Beweis , hörte sie Sunitas Stimme. Sie betrachtete sich im Spiegel und fuhr sich leicht mit den Fingern durch ihre langen schwarzen Haare. Wenn sie sich so betrachtete, hielt sie sich für völlig unbedarft. Zu Unrecht, räumte sie sich nun ein.
Wie ich es dir immer gesagt habe. Du bist stark. Mich brauchst du nicht wirklich, um dich zu behaupten. Nun siehst du es. Du hast es geschafft, hast mehr erreicht, als es mir je gelungen ist. Er findet keinen Weg zu dir, weil er nichts versteht.
»Rupa?«, hörte sie von draußen Phillip Krawinckel. Sie trat ins Freie. Als er sie sah, öffnete Krawinckel mit einer aufgesetzt
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