Das juengste Gericht
hielt sich ein Taschentuch vor den Mund und hatte seine Stimme rasch wieder im Griff. In kurzen Worten schilderte er Beilstein das bisherige Ermittlungsergebnis. Als er fertig war, lehnte sich Beilstein zurück und wippte mit seinem Oberkörper. Er zog noch einmal an seiner Zigarette, obwohl diese schon fast bis zum Filter heruntergebrannt war. »Was schlagen Sie vor? Wollen Sie an Krawinckel herantreten? Kommt er schon als Beschuldigter oder nur als Zeuge in Betracht, falls Sie ihn vernehmen wollen?«
»Ich will ihn als Zeugen vernehmen, und zwar persönlich. Nicht durch die Polizei. Einen Vorwurf können wir ihm noch nicht machen. Dazu gibt die Aussage des indischen Jungen nicht genug her. Schließlich ist es nicht von vornherein anrüchig, dass Krawinckel im Hause Beuchert einund ausging.«
Beilstein schnalzte mit Daumen und Zeigefinger. »Moment. Noch mal zurück. Was hat es denn mit dieser Bekanntschaft auf sich? Sie hatten etwas von einer früheren Strafsache gegen Beuchert berichtet, in der Krawinckel eine Rolle gespielt haben soll.«
»Kein Ruhmesblatt der Justiz. Betrügerische Kapitalanlagegeschäfte. Krawinckel hat sich rührend um seinen Freund Wolfgang Beuchert gekümmert. Sowohl in der Strafsache als auch hinterher. Er hat ihn, soweit dies die Umstände zuließen, herausgehauen.«
»Haben wir damals gegen Krawinckel ermittelt?«
»Wohl nicht. Ich habe in unserer Datei und im Archiv geforscht. Es gibt nichts. Der Kollege Nachtigall, der damals für das Verfahren gegen Beuchert zuständig war, arbeitet seit einiger Zeit im Justizministerium. Ich könnte ihn ansprechen. Er ist ebenso wie ich Genosse. Vielleicht erinnert er sich noch an etwas.«
Beilstein rieb sich mit dem Zeigefinger unter der Nase. »Ach so? Ich habe zwar nichts dagegen. Sie wissen allerdings, was ich generell davon halte, wenn Justizangehörige aktiv in einer Partei mitmischen. Davon sollte die Justiz frei sein. Die Menschen, die mit uns zu tun haben, müssen sich bei uns so aufgehoben fühlen, dass nicht ein Gefühl der Befangenheit oder Voreingenommenheit aufkommen kann. Denken Sie nur daran, wenn wir jemand wegen einer Strafsache mit politischem Hintergrund anklagen. Wenn sich der Staatsanwalt oder der Richter vorher irgendwann durch bestimmte politische Äußerungen aus dem Fenster gehängt haben, muss der Angeklagte annehmen, dass sie sich ihm gegenüber nicht objektiv verhalten.« Er stemmte seine Hände gegen den Tisch. »Ministerium ist jedenfalls ein gutes Stichwort. Ich werde jetzt unseren Chef, Herrn Hübsch, informieren und ihm den Vorschlag machen, dass wir vor einer Vernehmung von Krawinckel den Generalstaatsanwalt und das Ministerium unterrichten sollten. Im Anschluss daran sage ich Ihnen Bescheid, wie es weitergeht.«
Schultz nickte. Er verabschiedete sich und ging zurück in sein Zimmer. Dort traf er auf Diener und eine dampfende Kaffeemaschine.
»Wo hast du denn gesteckt?«, fragte Schultz.
Diener lächelte, streckte sich und gähnte. Mit einer Hand griff er in den Kragen seines dunkelblauen T-Shirts, als sei er ihm zu eng. »Du wirst langsam senil, mein Lieber. Vergangenen Freitag hatte ich dir gesagt, dass ich heute wegen eines Zahnarzttermins später kommen würde. Ich soll jetzt zwei Stunden nichts essen, aber einen Kaffee vertrage ich schon wieder.«
Das Telefon klingelte fünfzehn Minuten später. Diener nahm den Anruf entgegen und reichte den Hörer an Schultz weiter.
»Für dich. Beilstein.«
Schultz stand auf, nickte mehrmals und sagte: »Geht in Ordnung.«
Nach Beendigung des Gesprächs schaute Diener ihn mit angehobenen Augenbrauen an. »Was Unangenehmes?«
Die Augen von Schultz irrten unruhig hin und her. Gesicht und Wangen wurden feucht. »Der Chef hat wegen Krawinckel mit den vorgesetzten Behörden telefoniert. Das Ministerium will, dass ich in einer Stunde dort mündlich vortrage.«
»Soll das der Test dafür sein, ob sie dich gefahrlos befördern können?«
»Keine Ahnung! Ich bin gespannt, was die von uns wollen.«
19. Kapitel
Als das Telefon schrillte, zuckte Köhler über den Akten zusammen. Er benötigte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Dann nahm er ab.
»Mein Name ist Karin Beuchert. Sind Sie der Herr Köhler, der vorigen Mittwoch bei mir in der Nordweststadt war?«
Auf Anhieb gelang es Köhler, seine Gedanken ungeteilt dem Gespräch zuzuwenden. »Guten Tag, Frau Beuchert. Hoffentlich sind Sie nicht zu lange in unserer melodischen Warteschleife aufgehalten worden. Was
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